Keine Rechtsnachteile für friedfertige Prozesspartei

Ausgangslage

B war seit dem Jahr 1977 Mieter einer Wohnung in Genf. Im Nachgang zum Verkauf der Mietliegenschaft kündigte der neue Eigentümer und Vermieter der besagten Mietwohnung dem Mieter B den Mietvertrag wegen dringenden Eigenbedarfs. Der Mieter B focht die Kündigung fristgerecht an und verlangte subsidiär zur Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung die Erstreckung des Mietverhältnisses um zwei Jahre. Zwar erachtete die Schlichtungsbehörde die Kündigung als gültig, erstreckte das Mietverhältnis aber um zwei Jahre. Hiergegen rief der Vermieter A (jedoch nicht der Mieter B) das zuständige Mietgericht an und bestritt die angeordnete Erstreckung des Mietverhältnisses. Der Mieter verlangte (erst) in seiner Klageantwort die Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung und forderte die maximale Erstreckungsdauer (von vier Jahren bei Wohnräumen). Das Mietgericht bestätigte die Gültigkeit der Kündigung und verlängerte die Erstreckung auf drei Jahre. In der Folge rief der Mieter die Appellationsinstanz an und forderte (wie bereits in der Klageantwort vor dem Mietgericht) neben der Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung die Erstreckung des Mietverhältnisses um die maximale Dauer von vier Jahren. Demgegenüber verlangte der Vermieter A (nur) die Bestätigung des Entscheids des Mietgerichts.

Die Appellationsinstanz entschied zunächst, dass das Mietverhältnis um die Maximaldauer von vier Jahren zu erstrecken ist. Im Übrigen trat die Appellationsinstanz auf die Frage der Gültigkeit der Kündigung aber nicht ein, weil der Mieter B das Begehren auf Feststellung der Ungültigkeit nicht innert der gesetzlich geforderten Frist von 30 Tagen nach dem Entscheid der Schlichtungsstelle beim Mietgericht gestellt habe (resp. sich dieser erst verspätet in der entsprechenden Klageantwort dazu äusserte). Gegen diesen Entscheid gelangte der Mieter B mit der Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht verwies in seinen Erwägungen (BGer-Entscheid vom 6. Februar 2009, 4A_519/2008) zunächst auf die gesetzlichen Regelungen in Art. 273 Abs. 5 OR und Art. 274 Abs. 1 OR. Danach wird ein Entscheid der Schlichtungsbehörde rechtskräftig, wenn die unterlegene Partei nicht innert 30 Tagen den Richter anruft. Bezüglich der Frage der Gültigkeit der Kündigung ist der Mieter B im entsprechenden Entscheid der Schlichtungsbehörde unterlegen, weshalb der Mieter B diesbezüglich eigentlich innert Frist das Mietgericht hätte anrufen müssen, wenn er sich mit diesem Entscheid der Schlichtungsbehörde nicht zufrieden geben wollte. Auf der anderen Seite erinnert das Bundesgericht daran, dass der Vermieter A jedoch innert dieser 30-Tage Frist das Mietgericht anrief, allerdings nur, weil er die Erstreckung des Mietverhältnisses um zwei Jahre nicht akzeptieren wollte.

Vor diesem Hintergrund und mit Verweis auf seine frühere Rechtsprechung entschied das Bundesgericht, dass der Entscheid der Schlichtungsbehörde (wegen der fristgerechten Klage des Vermieters) als Ganzes nicht rechtskräftig werden konnte. Diese rechtliche Einschätzung des Bundesgerichts hatte die Konsequenz, dass es dem Mieter B unbenommen blieb, die Gültigkeit der Kündigung erst in der Klageantwort vor dem Mietgericht und anschliessend vor der Appellationsinstanz zu bestreiten. Insbesondere verwarf das Bundesgericht die Auffassung, dass der Schlichtungsbehörde aufgrund deren (limitierten) Entscheidkompetenz die Funktion eines Gerichts erster Instanz zukomme. Vielmehr definiere sich die Rolle der Schlichtungsbehörde (auch im Bereich mit Entscheidkompetenz) primär über deren Bemühen, die Streitparteien einer einvernehmlichen Beilegung ihrer Differenzen zuzuführen. Dabei könne aus der Anrufung des Mietgerichts durch mindestens eine der Streitparteien darauf geschlossen werden, dass die Aussöhnung definitiv gescheitert sei und dementsprechend auch der Entscheid der Schlichtungsbehörde (als Ganzes) ohne rechtliche Wirkung bleibe. Denn es könne nicht der Sinn einer solchen versuchten Aussöhnung sein, dass in der Folge eine der Streitparteien rechtliche Nachteile habe, nur weil sie sich um des Friedens willen konzilianter zeigte als die andere Streitpartei, die den Entscheid der Schlichtungsbehörde an das Mietgericht weiter gezogen hat.

Zusammenfassung

Ruft wenigstens eine der Streitparteien das Mietgericht an innert der gesetzlich vorgegebenen Frist von 30 Tagen nach dem Entscheid der Schlichtungsbehörde, wird deren Entscheid als Ganzes nicht rechtskräftig. Dies hat zur Konsequenz, dass selbst die im Schlichtungsverfahren unterlegene Partei, die nicht fristgerecht ihre Begehren dem Mietgericht einreichte, ihre Begehren nach der anwendbaren Prozessordnung auch erst später beim Mietgericht vorbringen kann.

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