Grundlagenirrtum bei zu kleiner Mietfläche
Ausgangslage
Im November 2000 vermietete die Y AG an die X AG Geschäftsräumlichkeiten zum Betrieb eines Solariums. Im besagten Mietvertrag wurde die Fläche mit ca. 246 m2 angegeben, zu einem Zins von CHF 4041 pro Monat. Im Herbst 2005 veranlasste die X AG, dass die Mieträumlichkeiten von einem Ingenieur vermessen wurden, zumal sie Probleme mit der Rentabilität des Solariumbetriebs hatte. Es stellte sich heraus, dass die effektive Fläche nur 204,20 m2 betrug. Mit anderen Worten belief sich die Differenz auf 41.80 m2 oder auf 17 % der im Mietvertrag vermerkten Fläche.
Aufgrund der entdeckten Abweichung, die wegen der baulichen Situation der Räumlichkeiten von Auge nicht wahrgenommen werden konnte, berief sich die Mieterin X AG auf Grundlagenirrtum und die teilweise Ungültigkeit des Mietvertrages. Vor der zuständigen Schlichtungsbehörde konnte keine Einigung erzielt werden. Daraufhin rief die X AG das Mietgericht an und verlangte, dass der Mietzins im Verhältnis zur effektiven Fläche reduziert und ihr die (zu viel bezahlte) Differenz von rund CHF 50'000 nebst Zins von 5 % rückvergütet werde. Während das Mietgericht den Begehren der Mieterin X AG grundsätzlich folgte, hob die von der Vermieterin Y AG angerufene Appellationsinstanz den Entscheid des Mietgerichts wieder auf. Daraufhin gelangte die Mieterin X AG mit der Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht.
Gesetzliche Grundlagen
Zu Beginn verwies das Bundesgericht in seinem Entscheid (BGer-Entscheid vom 10. Juni 2009, 4A_99/2009) auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Nach Art. 23 OR ist ein Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Wann ein Irrtum ein wesentlicher Irrtum ist (und dementsprechend dem Irrenden das Recht eingeräumt wird, den im Irrglauben abgeschlossenen Vertrag für unverbindlich zu erklären) wird in Art. 24 OR näher ausgeführt: So ist ein Irrtum namentlich dann ein wesentlicher, wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR). Ebenso ist ein Irrtum ein wesentlicher, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde (sogenannter Grundlagenirrtum, Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Demgegenüber hindern insbesondere blosse Rechnungsfehler die Verbindlichkeit des abgeschlossenen Vertrages nicht (Art. 24 Abs. 3 OR), mithin ist ein solcher sogenannter Kalkulationsirrtum kein wesentlicher Irrtum, der es dem Irrenden also nicht erlaubt, sich auf die Unverbindlichkeit des abgeschlossenen Vertrages zu berufen. Im Übrigen muss ein wesentlicher Irrtum binnen Jahresfrist seit dessen Entdeckung geltend gemacht werden, ansonsten der Vertrag als genehmigt gilt (dazu vgl. Art. 31 Abs. 2 OR).
Erwägungen des Bundesgerichts
Zunächst verneinte das Bundesgericht, dass es sich im vorliegenden Fall um einen blossen Rechnungsfehler (d. h. um einen unwesentlichen Kalkulationsirrtum; dazu vgl. oben) handelte. Denn die Parteien haben sich keineswegs bei der Berechnung des geforderten resp. des akzeptierten Mietzinses aus Versehen (arithmetisch) verrechnet. Ebenso liegt gemäss Bundesgericht kein (wesentlicher) Irrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR vor (dazu vgl. oben), weil die Mieterin X AG sowohl die Geschäftsräumlichkeiten als auch den hierfür zu bezahlenden Mietzins kannte und sich hierüber auch nicht irrte.
Im Weiteren setzte sich das Bundesgericht mit dem insbesondere vor der Appellationsinstanz erfolgreichen Argument auseinander, dass die Mieterin X AG die Geschäftsräumlichkeiten während mehrerer Jahre ohne Klagen genutzt hatte. Mit ihrem Verhalten habe die X AG gezeigt, dass die gemieteten Räumlichkeiten ihren Erwartungen entsprochen hätten und sie gar keine grössere Fläche wünschte, womit auch kein wesentlicher Irrtum vorliege, der es der Mieterin erlauben würde, den Mietvertrag (rückwirkend) partiell aufzuheben und Rückforderungsansprüche zu stellen.
Diese Rechtsauffassung erklärte das Bundesgericht für bundesrechtwidrig: Die Mieterin X AG habe sich vorliegend nicht über die ihr durchaus bekannten Mieträumlichkeiten (resp. deren Fläche) geirrt. Vielmehr habe sich die Mieterin X AG bei der auf einer falschen Quadratmeterfläche aufbauenden Bestimmung des Mietzinses (für diese spezifischen Geschäftsräumlichkeiten) in einem Irrtum befunden und diesen gegenüber der Vermieterin Y AG rechtzeitig geltend gemacht. Dieser Irrtum ist nach Ansicht des Bundesgerichts ein wesentlicher (Grundlagen-)Irrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR, weil es sich neben der objektiven Wesentlichkeit auch ohne weiteres ergibt, dass es für die Mieterin X AG subjektiv wesentlich ist, ob sie pro Jahr etwa CHF 8200 mehr oder weniger an Mietzinse für die effektiv kleinere Mietfläche bezahlen muss. Im Übrigen liess das Bundesgericht das Argument nicht gelten, dass im besagten Mietvertrag nur von einer ungefähren Quadratmeterfläche gesprochen wurde. Dazu verwies das Gericht auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach bei einer solchen Abweichung nicht mehr von einer implizierten Marge ausgegangen werden darf, mit welcher ein Mieter zu rechnen habe.
Zusammenfassung und Empfehlungen
Die Mieterin X AG konnte sich – trotz jahrelanger, klagloser Benutzung der Mieträumlichkeiten – erfolgreich mit ihrer Berufung auf Grundlagenirrtum gegen die vermietende Y AG durchsetzen. Die X AG drang beim Bundesgericht insbesondere mit dem Argument durch, dass ein wesentlicher Irrtum selbst dann noch vorliegen kann, wenn sich die Parteien einig geworden sind über das konkrete Mietobjekt (mit der effektiv kleineren Fläche) und sich die Parteien auch bereits über den hierfür zu entrichtenden Mietzins geeinigt hatten. Demnach liegt ein wesentlicher Irrtum im Sinne von Art. 23 f. OR auch vor, wenn sich die mietende Partei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezüglich der Basis des vereinbarten Mietzinses, (d. h. bezüglich der effektiv kleineren Fläche der Mieträumlichkeiten) im Irrtum befunden hatte. Das Urteil des Bundesgerichts hält insbesondere die Vermieter (unter Umständen aber auch Verkäufer) an, beim Vertragsabschluss dafür zu sorgen, dass die vereinbarten Eckwerte des Vertragsgegenstandes mit den tatsächlichen Begebenheiten übereinstimmen, ansonsten sie auch noch nach Jahren mit Rückforderungsansprüchen konfrontiert werden könnten.