Anfangsmietzinsanfechtung:  Wichtige prozessuale Weichenstellungen des Bundesgerichts

Ausgangslage zu BGer 4A_121/2023 vom 29. November 2023

Eine Mieterin mietete per 16. April 2017 an einer lärmexponierten Lage in der Stadt Zürich eine 2-Zimmerwohnung für einen Nettomietzins von Fr. 1‘060.— pro Monat zuzüglich Fr. 55.—akonto für die Nebenkosten.  Der Vormietzins belief sich auf Fr. 738.— netto pro Monat bei gleichen monatlichen Akontozahlungen für die Nebenkosten.  Hinzukommt, dass das Mietobjekt während des rund 20-jährigen Vormietverhältnisses nie in nennenswerter Weise saniert und der Mietzins dabei auch nie nach absoluter Methode neu festgesetzt worden war.

Die Vermieterin begründete die – mit dem amtlichen Formular rechtsgenüglich – mitgeteilte Mietzinserhöhung von knapp 44% mit der „Anpassung an die orts- und quartierüblichen Verhältnisse“.  In der Folge focht die Mieterin diesen Anfangsmietzins fristgerecht bei der zuständigen Schlichtungsstelle an und verlangte, dass der Anfangsmietzins für rechtsmissbräuchlich zu erklären sei.

Die Vermieterin lehnte einen von der Schlichtungsstelle vorgelegten Urteilsvorschlag ab, gelangte an das Mietgericht Zürich und beantragte die Feststellung, dass der vorerwähnte Anfangsmietzins nicht rechtsmissbräuchlich sei und – eventualiter – sei der Nettomietzins für diese Wohnung gerichtlich festzulegen.  Zur Begründung der Orts- und Quartierüblichkeit des Nettomietzinses legte die Vermieterin ein Privatgutachten des SVIT Swiss Real Estate Institute ins Recht und offerierte insgesamt 23 Vergleichsobjekte, die hinsichtlich Lage, Grösse, Bauperiode, Ausstattung und Zustand mit der von der Mieterin gemieteten Wohnung vergleichbar seien und für die Vergleichsobjekte durchwegs ein höherer Nettomietzins bezahlt werde.  

Das Mietgericht erklärte den Anfangsmietzins von Fr. 1‘060.—als missbräuchlich und setzte diesen rückwirkend per Mietbeginn auf monatlich Fr. 855.—fest zuzüglich einem Nebenkostenbetrag von Fr. 165.—akonto pro Monat.  Die von der Vermieterin gegen dieses Urteil erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich ab, worauf die Klägerin (ein erstes Mal) ans Bundesgericht gelangte[1]:  Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Vermieterin gut, hob den Obergerichtsentscheid auf und wies die Streitigkeit zurück an das Obergericht, welches die heisse Kartoffel an das Mietgericht Zürich weiterreichte zur neuen Entscheidung.

Erster Bundesgerichtsentscheid: Nur tatsächliche Vermutung und Indizien für begründete Zweifel

Zusammengefasst erwog das Bundesgericht in seinem (ersten) Entscheid in dieser Sache[2], dass es sich bei der Vermutung der Missbräuchlichkeit um eine tatsächliche Vermutung handelt, die nur zur Anwendung kommt, wenn eine Vermieterschaft den Anfangsmietzins um „mehr als 10%“ bzw. bei Altbauten „massiv“ um „deutlich über 10%“ gegenüber dem vormaligen Nettomietzins erhöht.[3]  Diese Vermutung entfällt aber wieder, wenn eine Vermieterschaft begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses wecken kann.  Das Bundesgericht gab in seinem ersten Entscheid sogar konkrete Hinweise, was für Indizien die kantonalen Gerichte – bei rechtsgenüglichem Vorbringen der Vermieterschaft im Gerichtsverfahren – würdigen können, ob solch begründete Zweifel geweckt werden können.

In der Folge erklärte das Mietgericht Zürich den hier strittigen Anfangsmietzins (erneut) für missbräuchlich und setzte diesen (erneut) fest auf monatlich Fr. 855.— nebst Fr. 165.— akonto für die Nebenkosten.  Das Obergericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Berufung der Vermieterin ab.  Daraufhin gelangte die Vermieterin erneut ans Bundesgericht.

Das Bundesgericht wies die Streitigkeit nicht erneut an eine kantonale Vorinstanz zurück.  Vielmehr entschied das Bundesgericht  – mit Verweis auf die lange Verfahrensdauer von mehr als 5.5 Jahren – gleich selbst in der Sache und wählte bei seinen Erwägungen zu den vorinstanzlichen Entscheiden selten deutliche Worte.  Es monierte gleich mehrfach, dass die Vorinstanzen die Anforderungen an das blosse Indiz des (begründeten) Zweifels an der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses überspannt hatten.

Erwägungen des Bundesgerichts:  Indizien für begründete Zweifel an Missbrauchs-Vermutung

Umstritten war, ob die kantonalen Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen waren, dass die Vermieterin mit den vorgelegten Indizien keine Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses wecken konnte.  Dabei rügte die Vermieterin, dass die Vorinstanzen – für die Erschütterung der hier vermuteten Missbräuchlichkeit – einen viel zu strengen Massstab angewandt und die Anforderungen an den Indizienbeweis massiv überdehnt hätten.

Wir erinnern uns:  Die Vermieterin berief auf ein Gutachten des SVIT Swiss Real Estate Institutes und offerierte insgesamt 23 Vergleichsobjekte.  Davon erachteten die kantonalen Vorinstanzen mindestens zwei (bzw. gar vier) Vergleichsobjekte als vergleichbar mit einem durchschnittlichen Nettomietzins von Fr. 1‘357.— (bzw. knapp Fr. 1‘400.--), der also deutlich über dem hier strittigen Anfangsmietzins von Fr. 1‘600.—lag.  Auch das lange Vormietverhältnis von rund 20 Jahren muss gemäss Bundesgericht berücksichtigt werden und spricht – entgegen der kantonalen Vorinstanz – für begründete Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses.  Dies gilt umso mehr weil die Vorinstanzen – gestützt auf die Strukturerhebung 2006 sowie den daraus abgeleiteten, „aktualisierten“ Mietpreisindex der Stadt Zürich – ein allgemein, in der ganzen Stadt Zürich ansteigendes Mietzinsniveau festgestellt hatten.

Das Bundesgericht stellte in seinen Erwägungen weiter klar, dass das Vorgehen des Mietgerichts Zürich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, nämlich aus den jeweils aktuell verfügbaren statistischen Daten bestmöglich – und im Sinne einer blossen Annäherung an die Mietzinse hier im Frühling 2017 – einen plausiblen Anhaltspunkt für das Mietzinsniveau im Zeitpunkt des jeweils strittigen Mietvertragsabschlusses zu berechnen.  Jedoch ist für die Festlegung des hierfür relevanten Datenpools eine gewisse Grosszügigkeit bzw. eine weniger restriktive Vorgehensweise angezeigt.  Denn vorliegend geht es ja gerade nicht um die Führung des strikten Beweises mit Vergleichsobjekten, sondern nur um die Erschütterung der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses:  Demnach dürfen nicht nur Vergleichsobjekte einzig aus dem Unterquartier des hier betreffenden Mietobjekts herangezogen werden, sondern aus dem gesamten Quartier, selbst wenn es (in den hier drei Unterquartieren) erhebliche Unterschiede bei den Quadratmeterpreisen für Wohnflächen gibt.  Ebenso ist es gemäss Bundesgericht angezeigt, dass auch mit den strengen Anforderungen kompatible, ausserhalb bzw. direkt an der Grenze des betreffenden Quartierperimeters befindliche Vergleichsobjekte in die Prüfung einbezogen werden dürfen. 

Zusammenfassung, Schlussfolgerung und Empfehlungen

Das Bundesgericht präzisierte und bestätigte mit dem vorliegenden Entscheid seine bisherige Rechtsprechung, dass es für die Weckung begründeter Zweifel an der zunächst vermuteten Missbräuchlichkeit eine weniger restriktive Vorgehensweise gilt als beim erst anschliessenden, strikten Beweis der Ort- und Quartierüblichkeit des Anfangsmietzinses. 

Die Vermieterschaft bleibt für die Erschütterung dieser Vermutung aber beweisbelastet und muss auch den strikten Beweis der Ort- und Quartierüblichkeit des Anfangsmietzinses führen, wenn die Vermieterschaft im Gerichtsverfahren keine begründeten Zweifel zur Erschütterung der Richtigkeit der Missbräuchlichkeits-Vermutung wecken kann.  Umgekehrt heisst das aber auch, dass die Mieterschaft den strikten (bis unmöglichen) Beweis der Missbräuchlichkeit der Orts- und Quartierüblichkeit des Anfangsmietzinses führen muss, wenn es der Vermieterschaft gelingt, im Gerichtsverfahren begründete Zweifel an der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu wecken.  Genau wegen dieser prozessualen Winkelzüge kommt diesem Entscheid des Bundesgerichts eine derart weitreichende Bedeutung zu.

***


[1][1] BGer 4A_183/2020 vom 6. Mai 2021, teilweise publiziert in der amtlichen Sammlung: BGE 147 III 431.

[2] Dazu vgl. BGE 147 III 431 E. 4.2 und nunmehr auch BGE 148 III 209 E. 3.2.1.

[3] Dazu vgl. BGE 139 III 13 = BGer 4A_139/2012 E. 3.2 und für Altbauten: BGE 147 III 431 E. 3.3.2.

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