Verschärfte Haftung für Subunternehmer

Einführung

Seit der schrittweisen Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft am 1. Juni 2002 sind die beiden Handelspartner noch enger zusammengerückt und profitieren gemeinsam vom erleichterten Austausch von Waren und Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Verhältnis.  Kehrseite davon ist jedoch, dass sich nicht nur Konsumenten, sondern auch Geschäftspartner die unterschiedlichen Lohn- und Preisniveaus zunutze machen.  Dagegen kann wenigstens solange nichts eingewendet werden, als dies nicht zu unzulässigen Wettbewerbsverzerrungen führt oder Unternehmer ihre Dienstleistungen erbringen, ohne die in der Schweiz vorgeschriebenen, minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten zu können.

Um einer unkontrollierten, negativen Entwicklung der Lohn- und Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, wurden in der Schweiz im Jahr 2004 erste flankierende Massnahmen ergriffen:  Im Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (kurz Entsendegesetz, „EntsG“) wurde bereits damals vorgeschrieben, dass Erstunternehmer ihre Subunternehmer mit Sitz oder Wohnsitz im Ausland vertraglich verpflichten müssen, die Vorschriften des EntsG – und damit insbesondere die Vorschriften über die minimalen, in der Schweiz geltenden Arbeits- und Lohnbedingungen – einzuhalten.  Für den Fall, dass eine solche Verpflichtung fehlte, sah das EntsG schon damals vor, dass der Erstunternehmer für Verstösse des Subunternehmers gegen das EntsG solidarisch haftbar ist.  Zusätzlich konnte gegen den fehlbaren Erstunternehmer eine Verwaltungsbusse oder sogar ein Arbeitsverbot in der Schweiz verhängt werden.

Gestiegener Lohndruck und verschärfte Massnahmen

Die zwischenzeitlichen, in der Schweiz durchgeführten Arbeitsmarktüberwachungen haben unter anderem ergeben, dass die bislang ergriffenen, flankierenden Massnahmen nicht überall den gewünschten Effekt erzielen.  Namentlich in der Baubranche ortete das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO weiteren Handlungsbedarf, weil sich vor allem dort das „Phänomen“ der (gewinnbringenden) Weitergabe von Aufträgen an (billigere) Subunternehmer zeige resp. solche Vergabeketten dazu führten, dass der effektiv ausführende Subunternehmer seine Leistungen nicht mehr gewinnbringend ausführen kann, ohne die in der Schweiz vorgeschriebenen, minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu unterschreiten.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich auch eine engagierte politische Debatte, die sich in der Wintersession der Räte zu einer Vorlage zur Änderung des EntsG verdichtete und nun eine markante Verschärfung der bisherigen Haftung des Erstunternehmers für die Verfehlungen der Subunternehmer vorsieht.

Der einschlägige Art. 5 EntsG ist seit dem 15. Juli 2013 in Kraft und lautet wie folgt:  „Werden im Bauhaupt- oder Baunebengewerbe Arbeiten von Subunternehmern ausgeführt, so haftet der Erstunternehmer (Total- General- oder Hauptunternehmer) zivilrechtlich für die Nichteinhaltung der Netto-Mindestlöhne und der Arbeitsbedingungen […] durch die Subunternehmer (Abs. 1).  Der Erstunternehmer haftet solidarisch für sämtliche ihm nachfolgenden Subunternehmer in einer Auftragskette. Er haftet nur, wenn der Subunternehmer zuvor erfolglos belangt wurde oder nicht belangt werden kann (Abs. 2).  Der Erstunternehmer kann sich von der Haftung gemäss Absatz 1 befreien, wenn er nachweist, dass er bei jeder Weitervergabe der Arbeiten die nach den Umständen gebotene Sorgfalt in Bezug auf die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen angewendet hat.  Die Sorgfaltspflicht ist namentlich erfüllt, wenn sich der Erstunternehmer von den Subunternehmern die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen anhand von Dokumenten und Belegen glaubhaft darlegen lässt.  Der Erstunternehmer kann zudem mit den Sanktionen […] belegt werden, wenn er seine Sorgfaltspflichten gemäss Absatz 3 nicht erfüllt hat. […]“.

Handlungsbedarf aufgrund verschärfter Haftungsregelung

Zunächst fällt auf, dass die verschärfte Haftungsregelung nicht mehr auf grenzüberschreitende Vertragsverhältnisse beschränkt ist.  Neu werden von Art. 5 EntsG auch reine Binnensachverhalte erfasst, wo sowohl Erst- wie auch Subunternehmer ihren Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz haben.  Diese bemerkenswerte Ausdehnung der Haftung auch auf inländische Subunternehmer wird vom SECO gerechtfertigt mit dem festgestellten Handlungsbedarf auch bei inländischen Subunternehmern des Bauhaupt- und Baunebengewerbes sowie mit dem Diskriminierungsverbot ausländischer Dienstleistungserbringer.

Weiter bringt die neue Haftungsregelung neue Sorgfaltspflichten und stellt höhere Anforderungen an Erst- und Subunternehmer.  Damit ist fast zwangsläufig auch ein präventiver, administrativer Mehraufwand verbunden, den die Bauunternehmen wohl oder übel auf sich nehmen müssen.  Denn einerseits gibt es neu für den Erstunternehmer keine Haftungsbefreiung mehr, wenn er (nur) den Beweis erbringen kann, dass er mit dem Subunternehmer die Einhaltung der Minimalbedingungen vertraglich vereinbart hat.  Andererseits sind auch die Subunternehmer gefordert und müssen Massnahmen ergreifen, damit sie ihren Erstunternehmern die notwendigen Unterlagen bieten können, welche die Erstunternehmer benötigen, um ihrer Prüfungsobliegenheit der Einhaltung der minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen nachzukommen.

Konkrete Massnahmen und Hilfestellungen

Für die beteiligten Kreise ist es zentral zu wissen, wie der in Art. 5 Abs. 3 EntsG geregelte Befreiungsbeweis erbracht werden kann und welchem latenten Haftungsrisiko sich ein Erstunternehmer beim Beizug eines fehlbaren Subunternehmers aussetzt.  Hilfestellung bieten dabei die Vorschriften von Art. 8a ff. der Verordnung zum EntsG, die ebenfalls auf den 15. Juli 2013 in Kraft gesetzt wurden.  Ebenfalls enthält der Erläuternde Bericht des SECO vom 15. Mai 2013 informative Hinweise und Ausführungen zur Auslegung und Handhabung der neuen Haftungsbestimmungen.  Weiter bietet das SECO auf seiner Website Musterdokumente an, die den betroffenen Erst- und Subunternehmern dazu dienen sollen, die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen darzulegen.  

Gemeinhin kann sich ein Schweizer Erstunternehmer von seiner (subsidiären) Lohn-Haftung im Umfang des „Netto-Mindestlohns“ befreien, wenn er eine vom Subunternehmer unterzeichnete Deklaration vorweisen kann, worin dieser die minimalen Lohnbedingungen garantiert sowie ergänzend 1) eine Liste der Namen der Arbeitnehmenden hat, die für die Ausführung der Arbeiten vorgesehen sind, oder derjenigen, die zur Stammbelegschaft in der Schweiz gehören, 2) Angaben macht zur Einreihung in die Lohnklasse, zu den Mindestlöhnen und Arbeitszeiten gemäss einem anwendbaren allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag sowie 3) eine schriftliche Bestätigung der Arbeitnehmenden hat, dass diese die für ihre Lohnklasse vorgeschriebene minimale Entlöhnung erhalten (dazu vgl. Art. 8b Abs. 1 lit. b EntsV).

Neben der Lohn-Haftung kann sich der Erstunternehmer von seiner (ebenfalls subsidiären) Haftung für die Einhaltung der minimalen Arbeitsbedingungen befreien, wenn er eine vom Subunternehmer unterzeichnete Deklaration vorweisen kann, worin er sich die Einhaltung der Vorschriften zur Arbeits- und Ruhezeit, zur Mindestdauer der Ferien, zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz, zum besonderen Schutz von Jugendlichen und Arbeitnehmerinnen sowie zur Lohngleichheit darlegen lässt (dazu vgl. Art. 8b Abs. 2 lit. a EntsV).

Im Übrigen scheint der Gesetzgeber gleichwohl noch ein mildes Einsehen zu haben mit dem Erstunternehmer, der schon mehrmals Arbeiten an denselben Subunternehmer übertragen und dieser dem Erstunternehmer bei früheren Vergaben die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen glaubhaft dargelegt hat.  So sieht Art. 8 Abs. 3 EntsV vor, dass sich ein solcher Erstunternehmer die Einhaltung der Minimalbedingungen nur aus begründetem Anlass erneut darlegen lassen muss.  Zudem kommt dem Erstunternehmer Art. 14 EntsG entgegen, der vorsieht, dass die verschärften Haftungsbestimmungen gemäss Art. 5 EntsG nicht zur Anwendung kommen, wenn der Vertrag zur Übertragung von Arbeiten auf den (ersten) Subunternehmer der Auftragskette vor dem 15. Juli 2013 abgeschlossen wurde.

Zusammenfassung und Empfehlungen

Ab dem 15. Juli 2013 gelten für Erstunternehmer in der Schweiz markant verschärfte Haftungsbestimmungen für fehlbare in- oder ausländische Subunternehmer, welche die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht einhalten.  Zudem stellt die neue Sorgfaltspflicht erhöhte Anforderungen und muss sich ein Erstunternehmer, der kein Haftungsrisiko eingehen will, vergewissern, dass die Arbeiten an einen Subunternehmer übertragen werden, der diese Minimalbedingungen einhält.

Zwar ist es eine bloss subsidiäre Haftung und kann sich der Erstunternehmer davon befreien, wenn er sich vom Subunternehmer die Einhaltung „glaubhaft“ darlegen lässt.

Gleichwohl wird in den meisten Fällen eine genaue Überprüfung und Anpassung der Standardverträge auf die neuen Verhältnisse unvermeidbar sein.  Zudem muss jeder Erstunternehmer zur Einhaltung seiner Sorgfaltspflicht organisatorische Vorkehren treffen, die sicherstellen, dass der Erstunternehmer anlässlich jeder Weitergabe von Arbeiten innerhalb seines Bauprojekts den jeweils ausführenden Subunternehmer vorgängig überprüfen kann, selbst wenn er zu diesem in keinem vertraglichen Verhältnis steht.  Auf Grossbaustellen kommen die heute schon üblichen Zutrittskontrollen in Frage; auf kleineren Baustellen dürfte die physische Präsenz des Erstunternehmers vor Ort genügen, z. B. durch einen Bauleiter oder Vorarbeiter, der den Überblick über die auf der Baustelle anwesenden Subunternehmer hat.

Artikel Immobilien Business als PDF laden.

Link zu wohnblog.ch

Zurück
Zurück

Wenn Kinder und Musik die Harmonie stören

Weiter
Weiter

Zweitwohnungsinitiative: Die ersten Urteile des Bundesgerichts