Ausweisung im Summarverfahren – Return to sender (Fachartikel in Mietrecht Aktuell 2022/2)

Es besteht kein klares Recht zur Frage, ob eine Kündigungsandrohung bzw. eine Kündigung als zugestellt gilt, wenn der Mieterschaft kein Abholzettel in den Briefkasten gelegt werden konnte, mithin die Sendung mit dem Vermerk "Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" an die Vermieterschaft retourniert wird.

Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. Juni 2021 (Geschäfts-Nr. PF210009-O/U) gegen die Verfügung des Einzelgerichtes Audienz des Bezirksgerichtes Zürich vom 6. April 2021 (ER210042).

Kommentiert von Dr. Boris Grell, Zürich

 

Sachverhalt

I.

1. Mit Eingabe vom 1. April 2021 stellte die Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin (nachfolgend Beschwerdeführerin) gegen den Gesuchs- und Beschwerdegegner (nachfolgend Beschwerdegegner) beim Einzelgericht des Bezirksgerichts Zürich (nachfolgend Vorinstanz) ein Ausweisungsbegehren. Mit diesem verlangte sie, es sei der Beschwerdegegner unter Hinweis auf die Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB sowie unter Androhung der Zwangsvollstreckung im Unterlassungsfall zu verpflichten und es sei ihm zu befehlen, die 1-Zimmerwohnung im 2. Stock Mitte an der D._____-strasse … in … Zürich, samt Kellerabteil unverzüglich, vollständig geräumt und gereinigt zu verlassen und der Beschwerdeführerin ordnungsgemäss zu übergeben (act. 1 S. 2).

1.1 Zum Sachverhalt führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe mit Schreiben vom 14. Januar 2021 eine 30-tägige Frist angesetzt für die Zahlung der ausstehenden Mietzinse für die Monate Dezember 2020 und Januar 2021, verbunden mit der Androhung, dass bei nicht fristgerechter Bezahlung das Mietverhältnis gestützt auf Art. 257d Abs. 2 OR ausserordentlich gekündigt werde. Dieses Schreiben habe dem Beschwerdegegner nicht zugestellt werden können, da der Beschwerdegegner mutmasslich den Briefkasten nicht angeschrieben habe. Die Post habe das Schreiben an die Verwalterin retourniert (act. 1 S. 3, Rz. 6). Nachdem die abgemahnten Mietzinse nicht innert Frist bezahlt worden seien, habe die Verwalterin das Mietverhältnis mit amtlichem Formular vom 25. Februar 2021 per 31. März 2021 gekündigt. Das Kündigungsschreiben habe dem Beschwerdegegner wiederum nicht zugestellt werden können, da die Post den Beschwerdegegner unter der angegebenen Adresse nicht habe ermitteln können (act. 1 S. 3, Rz. 6). An der auf den 31. März 2021 angesetzten Wohnungsübergabe sei der Beschwerdegegner nicht in der streitgegenständlichen Wohnung anzutreffen gewesen bzw. habe er die Tür nicht geöffnet (act. 1 S. 4, Rz. 7). Ihr sei nicht bekannt, ob der Beschwerdegegner überhaupt noch in der streitgegenständlichen Wohnung wohne. Dem Betreibungsregisterauszug des Betreibungsamtes Uster vom 22. Februar 2021 betreffend den Beschwerdegegner sei zu entnehmen, dass er am 1. August 2020 von dort weggezogen sei, gemäss E-Mail- Auskunft der Gemeinde E._____ nach unbekannt. Im Betreibungskreis … habe er sich offenbar nie angemeldet (act. 2 S. 4, Rz. 8).

1.2 Mit Verfügung vom 6. April 2021 trat die Vorinstanz auf das von der Beschwerdeführerin gestellte Ausweisungsbegehren nicht ein (act. 9 [= act. 5 = act. 11]).

2. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 15. April 2021 rechtzeitig (vgl. act. 6) Beschwerde und verlangte die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und die Gutheissung des von ihr vorinstanzlich gestellten Ausweisungsbegehrens (act. 10 S. 2). Da sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin – wie nachfolgend noch zu zeigen sein wird – sofort als unbegründet erweist, kann gestützt auf Art. 322 Abs. 1 ZPO auf das Einholen einer Beschwerdeantwort verzichtet und ohne Weiterungen entschieden werden. Dem Beschwerdegegner ist mit dem vorliegenden Entscheid noch ein Doppel der Beschwerde zur Kenntnisnahme zuzustellen.

II.

1. Nach Auflösung des Mietverhältnisses ist die Mietsache vom Mieter dem Vermieter zurückzugeben (Art. 267 OR). Voraussetzung für den Rückgabeanspruch des Vermieters ist somit die gültige Auflösung des Mietverhältnisses, welche im Ausweisungsverfahren vorfrageweise zu prüfen ist (vgl. ZR 110/2011 S. 166 ff., S. 168). Den ihm zustehenden Rückgabe- bzw. Ausweisungsanspruch kann der Vermieter dabei insbesondere auch im Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen gemäss Art. 257 ZPO geltend machen, wobei das Gericht den entsprechenden Rechtsschutz dann gewährt, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar und die Rechtslage klar ist (Art. 257 Abs. 1 ZPO). Fehlt es an klarem Recht oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen, so ist das Begehren illiquid und das Gericht tritt darauf nicht ein (Art. 257 Abs. 3 ZPO).

2.1 Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres Nichteintretensentscheides an, Kündigungsandrohung und Kündigung seien nur wirksam, wenn sie bei der Gegenpartei eintreffen würden. Die relative bzw. absolute Empfangstheorie, worauf sich die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zustellung von Kündigungsandrohung und Kündigung offenbar stütze, greife nur, wenn die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei. Im vorliegenden Fall seien beide Schreiben gemäss Darstellung im Gesuch von der Post mit dem Vermerk "Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" an die Beschwerdeführerin retourniert worden, mithin seien sie nie in den Machtbereich des Beschwerdegegners gelangt. Entsprechend seien weder die Zahlungs- noch die Kündigungsfrist ausgelöst worden. Damit bestehe das Mietverhältnis nach wie vor (act. 9 S. 3, E. 4.2). Aus diesem Grund trat die Vorinstanz auf das Ausweisungsbegehren der Beschwerdeführerin nicht ein (act. 9 S. 3 f., E. 4.3).

2.2 Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, die Schlussfolgerung der Vorinstanz sei falsch. Sei der Empfänger abwesend und sorge er nicht dafür, dass ihn Sendungen während dieser Zeit erreichen könnten, so könne er von Sendungen erst verspätet oder – bei eingeschriebenen Sendungen, die nach Ablauf der Abholungsfrist an den Absender retourniert würden – gar nicht Kenntnis nehmen. Keine Kenntnis nehmen könne der Empfänger auch von eingeschriebenen Sendungen, die an den Absender retourniert würden, da der Empfänger an der angegebenen Adresse nicht ermittelt werden könne. Im Allgemeinen trage der Empfänger dieses Risiko, weil der Absender damit rechnen dürfe, der Empfänger werde sich so organisieren, dass Zustellungen an ihn erfolgen können. Werde eine eingeschrieben versandte Sendung wegen der Abwesenheit des Empfängers als unzustellbar an den Absender zurückgeschickt, so gelte die Zustellung als erfolgt, ohne dass der Absender einen zweiten Zustellversuch unternehmen müsse. Entgegen der Vorinstanz seien die Abmahnung sowie die Kündigung in den Machtbereich des Beschwerdegegners gelangt. Sollte man die Ansicht vertreten, die vorgenannten Sendungen seien nie in den Machtbereich des Beschwerdegegners gelangt, sei dies einzig deshalb der Fall, weil er dies aktiv verhindert habe. Ein solches Verhalten dürfe keinen Rechtsschutz finden bzw. dürfe dem Vermieter nicht zum Nachteil gereichen. Ansonsten könne der Absender im Abwesenheitsfall des Empfängers an diesen keine gültige Zustellung mehr vornehmen beziehungsweise ihm zustehende Rechte, die mit der Abgabe von Erklärungen verbunden seien – wie eine Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung – ausüben. Der Empfänger könne durch Bezeichnung eines Zustellempfängers dafür sorgen, dass ihn Sendungen während einer Abwesenheit erreichen würden. Dies setze indes eine unmissverständliche Mitteilung an den Absender voraus, künftig oder während einer bestimmten Zeit Sendungen an einen Dritten zu richten (act. 10 S. 3, Rz. 7). Die Vorinstanz lasse gänzlich ausser Acht, dass der Beschwerdegegner es zu verantworten habe, dass die Post ihm die Sendungen nicht habe zustellen können. Sie habe im Gesuch dargelegt, dass sie die Vermutung habe, dass der Beschwerdegegner den Briefkasten nicht angeschrieben habe. Anders lasse es sich ohnehin nicht erklären, dass die Post einem Mieter an seiner Wohnadresse die Post nicht zustellen könne bzw. ihn an dieser Adresse nicht ermitteln könne und daher nicht einmal einen Abholschein hinterlassen könne. Ein Mieter habe dafür besorgt zu sein, dass er an der Adresse, an der er vom Vermieter eine Wohnung miete, postalisch erreichbar sei. Sei er dort (vorübergehend oder für immer) postalisch nicht erreichbar, habe er dem Vermieter eine andere Zustelladresse mitzuteilen, was der Beschwerdegegner vorliegend aber nicht gemacht habe. Somit würden – entgegen der Auffassung der Vorinstanz – die relative (für die Kündigungsandrohung) bzw. die absolute (für die Kündigung) Empfangstheorie gelten (act. 10 S. 4 f., Rz. 8). Würde man hingegen der Argumentation der Vorinstanz folgen, könne ein Mieter aufhören, den Mietzins zu zahlen, die Beschriftung an seinem Briefkasten entfernen und so dem Vermieter verunmöglichen, das Mietverhältnis jemals zu kündigen. Dieses rechtsmissbräuchliche und treuwidrige Verhalten sei indes entsprechend den angeführten Entscheiden nicht zu schützen: Wenn ein Mieter – aus durch ihn zu verantwortenden Gründen – von der Post an der Adresse des Mietobjekts nicht erreicht werden könne und diese nicht einmal einen Abholschein für das Einschreiben hinterlegen könne, müsse die Zustellungsvereitelung durch den Mieter dazu führen, dass die Sendungen trotzdem als zugestellt gelten würden. Dies habe vorliegend umso mehr zu gelten, als dass sie versucht habe, herauszufinden, ob der Beschwerdegegner allenfalls an einer anderen Adresse erreicht werden könne, was indes nicht der Fall gewesen sei. Zudem sei den allgemeinen Bedingungen zum Mietvertrag, auf welche der Mietvertrag verweist, zu entnehmen, dass als Zustelladresse der Ort des Mietobjekts gelte (act. 10 S. 5, Rz. 9). Aus diesem Grund sei der Entscheid der Vorinstanz aufzuheben und das Ausweisungsbegehren gutzuheissen (act. 10 S. 5, Rz. 10).

3. Eine klare Rechtslage im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO liegt dann vor, wenn sich die Anwendung der Norm auf den konkreten Fall aufgrund des Gesetzestextes oder der anerkannten Lehre und Rechtsprechung offensichtlich aufdrängt (BGE 144 III 464 [= Pra 108 (2019) Nr. 41] E. 3.1; BGE 138 III 123 E. 2.1.2; 138 III 620 E. 5.1.1; 138 III 728 E. 3.3 S. 734 = Pra 2013 Nr. 35). Die Rechtsfolge muss sich bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Lehre und Rechtsprechung ohne Weiteres ergeben und die Rechtsanwendung damit zu einem eindeutigen Ergebnis führen (BGer 4A_184/2015 vom 11. August 2015, E. 4.2.1; BGer 4A_273/2012 vom 30. Oktober 2021, E. 5.1.2 = nicht publizierte Erwägung von BGE 138 III 620; BGer 4A_443/2011 vom 22. Februar 2012, E. 2; zum Ganzen auch etwa SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, Komm ZPO, 3. Auflage 2016, Art. 257 ZPO, N 9). Damit ist klares Recht im Sinne der vorgenannten Bestimmung zwar nicht auf Fälle beschränkt, wo bereits der Gesetzeswortlaut die genaue Bedeutung einer Vorschrift wiedergibt, doch muss eine Auslegung nach bewährter Lehre und Überlieferung zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Ist die Subsumtion dagegen nicht offenkundig, müssen ausgiebige juristische Recherchen angestellt werden, stellen sich heikle juristische Abgrenzungsfragen, verweist die Norm auf richterliches Ermessen bzw. handelt es sich um Generalklauseln, besteht keine einschlägige Gerichtspraxis oder sind die Lehrmeinungen kontrovers, so liegt keine klare Rechtslage vor (vgl. statt vieler GÖKSU, DIKE-Komm ZPO, 2. Auflage 2016, Art. 257 OR, N 11).

3.1 Vorliegend stellt sich die Frage, ob eine Kündigungsandrohung im Sinne von Art. 257d Abs. 1 OR bzw. eine Kündigung gemäss Art. 257d Abs. 2 OR als zugestellt gilt, wenn dem Mieter als Empfänger kein Abholzettel in den Briefkasten gelegt werden konnte, mithin die Sendung mit dem Vermerk "Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" an den Vermieter als Versender retourniert wird. Ob eine Sendung als zugestellt gilt, mithin deren Empfang fingiert wird, ist eine Rechtsfrage, weshalb im vorliegenden Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen der von der Beschwerdeführerin als Vermieterin beantragte Rechtsschutz nur gewährt werden kann, wenn bezüglich dieser Frage das Bestehen einer klaren Rechtslage zu bejahen ist.

3.2 Sowohl bei der Kündigungsandrohung gemäss Art. 257d Abs. 1 OR als bei der Kündigung gemäss Art. 257d Abs. 2 OR handelt es sich um empfangsbedürftige Willenserklärungen, die nur dann wirksam werden, wenn sie bei der Gegenpartei eintreffen (zur Kündigungsandrohung vgl. etwa HIGI/BÜHLMANN, ZK, 5. Auflage 2019, Art. 257d OR, N 37; GIGER, BK OR, 2015, Art. 257d OR N 51; zur Kündigung vgl. etwa BGE 143 III 15, E. 4.1; BGE 140 III 244 E. 5; BGE 137 III 208 E. 3.1.1; BGE 118 II 42 E. 3; BGE 107 II 189, E. 2). Dabei gilt die Zahlungsaufforderung gemäss der hierfür geltenden eingeschränkten Empfangstheorie als zugestellt, wenn sie vom Mieter tatsächlich in Empfang genommen wurde und nicht bereits, wenn sie in dessen Machtbereich eingetroffen ist. Kann ein eingeschriebener Brief dem Empfänger nicht sofort übergeben werden, so ist deshalb auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem der Empfänger ihn auf dem Postbüro abholt. Wird die Mitteilung auch innerhalb der von der Post gesetzten, siebentägigen Abholfrist nicht abgeholt, so wird fingiert, sie sei am letzten Tag dieser Frist in Empfang genommen worden (BGE 119 II 147 E. 2 mit weiteren Hinweisen; BGE 137 III 208 E. 3.1.3). Dahingegen gilt die Kündigung bereits dann als zugestellt, wenn sie der Gegenpartei bzw. einer empfangsberechtigten Person übergeben, in deren Briefkasten geworfen oder in deren Postfach gelegt wird (BGE 137 III 208, E. 3.1.2; 140 III 244, E. 3.2). Als Zugang gilt grundsätzlich derjenige Tag, an dem eine nicht zugestellte Kündigung erstmals auf der Post abgeholt werden kann (uneingeschränkte bzw. absolute Empfangstheorie, BGE 143 III 15, E. 4.1; 140 III 244, E. 5). Die Beschwerdeführerin stützt ihren Standpunkt, wonach die Kündigungsandrohung bzw. Kündigung auch dann als zugestellt gelten müsse, wenn dem Mieter kein Abholschein in den Briefkasten gelegt werden konnte, weil – wie die Beschwerdeführerin in tatsächlicher Hinsicht behauptet – der Mieter den Briefkasten nicht angeschrieben habe, auf einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 12. Oktober 2020, welcher offenbar wiederum auf einen Entscheid des Zürcher Obergerichts vom 16. Februar 2016 verweist (act. 10 S. 4, Rz. 7). Zumindest der genannte Entscheid des Zürcher Obergerichts erweist sich indes nicht als einschlägig, geht es darin doch um die Zustellung an einen Vertreter (vgl. LF160008 vom 16. Februar 2016, E. 4.3), was mit dem vorliegenden Fall, in welchem der Empfänger unter der angegebenen Adresse nicht ermittelt werden konnte, nicht vergleichbar ist. Ebenfalls nicht einschlägig ist ein weiterer Entscheid des Zürcher Obergerichts vom 3. Februar 2016, auf welchen die Beschwerdeführerin verweist (act. 10 S. 4, Rz. 7), geht es doch darin um die Kenntnisnahme einer Sendung durch einen abwesenden Empfänger; im Unterscheid zum vorliegenden Fall konnte diesem jedoch ein Abholschein in den Briefkasten gelegt werden (vgl. OGer ZH, NG150022 vom 3. Februar 2016, E. 4.4). Entgegen der Beschwerdeführerin erweist es sich sodann nicht als zutreffend, dass der Adressat das Risiko dafür trage, wenn ihm Sendungen nicht zugestellt werden können, weshalb diese als zugestellt gelten müssten (act. 10 S. 4, Rz. 7); vielmehr weist das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Zustellung der Kündigung regelmässig darauf hin, dass der Absender das Übermittlungsrisiko bis zu dem Moment trage, in dem die Sendung in den Machtbereich des Adressaten gelange, während der Adressat das Risiko übernehme, dass er innerhalb seiner Einflusssphäre verspätet oder überhaupt nicht Kenntnis von der Sendung erhalte (vgl. BGE 137 III 208 E. 3.1.3; BGE 140 III 244 E. 5.12; BGE 143 III 15 E. 4.1). Zwar findet der von der Beschwerdeführerin vertretene Standpunkt, wonach eine Kündigung, die rechtzeitig an die letztbekannte Adresse des Empfänger gerichtet gewesen sei, als unzustellbar zurückkomme, als zugestellt gelten müsse, in der Lehre vereinzelt Stütze (vgl. HIGI/BÜHLMANN, ZK OR, 5. Auflage 2020, Vorbemerkungen zu Art. 266–266o OR, N 43, wonach die Organisation des ungehinderten Zuganges von Erklärungen der Vertragspartner Sache des Empfängers sei; BACHOFNER EVA, Die Mieterausweisung, Rechtsschutz in klaren und in weniger klaren Fällen, Zürich/St. Gallen 2019, S. 69 FN 380), doch kann hier nicht von einer einhelligen Lehre gesprochen werden, verweist doch ein anderer Teil der Lehre darauf, dass die Kündigung nur gültig sei, wenn sie beim Empfänger eintreffe bzw. darauf, dass der Absender das Risiko für den Zugang der Sendung bis zu deren Eintreffen im Machtbereich des Empfängers trage (vgl. etwa GIGER, BK OR, 1. Auflage 2020, Art. 260–266o OR, N 7; HULLIGER/HEINRICH, CHK Kommentar OR, 3. Auflage 2016, Art. 266-266f OR, N 2; MÜLLER, SVIT Kommentar Mietrecht, 4. Auflage 2018, Vorbemerkungen zu Art. 266–266o OR, N 5 f.). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen – auch wenn es darauf nach dem Gesagten nicht mehr entscheidend ankommt –, dass die Beschwerdeführerin lediglich vermutet, der Beschwerdegegner habe den Briefkasten nicht angeschrieben, ohne hierfür Beweismittel vorzulegen. Entgegen seinem Vortrag folgt indes aus dem Umstand, dass eine Sendung mit dem Vermerk "Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" retourniert wird, nicht automatisch, dass der Empfänger seinen Briefkasten nicht angeschrieben und damit die Zustellung vereitelt habe. Im Ergebnis besteht nach dem Gesagten bezüglich des von der Beschwerdeführerin vertretenen Standpunkts, wonach die Kündigungsandrohung bzw. die Kündigung auch als zugestellt gelten müssen, wenn die Sendung mit dem Vermerk "Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" retourniert werde, keine klare Rechtslage, weshalb die Vorinstanz zu Recht nicht auf das Ausweisungsbegehren der Beschwerdeführerin eingetreten ist.

III.

(Nichteintreten sowie Kostenverteilung zulasten der Vermieterschaft. Streitwertberechnung unter Berücksichtigung einer allfälligen dreijährigen Sperrfrist, der Kündigungsfrist und der Mietzinshöhe. Keine Zusprechung einer Parteientschädigung an die Mieterschaft mangels Umtrieben im vorliegenden Verfahren).

III. Zusammenfassung und Kommentar

Wie hätte wohl Elvis Presley als Vermieter reagiert, wenn ihm die Schweizerische Post seine Briefsendungen retourniert hätte mit dem Vermerk: „Empfänger konnte unter der angegeben Adresse nicht ermittelt werden.“  Gemäss Liedtext von „Return to sender“ zum 1962 erschienen Film „Girls! Girls! Girls!“ erreichten seine Briefsendungen die von ihm begehrte Empfängerin nicht wegen einer angeblich unbekannten Adresse.  Zudem geht es im vorliegenden Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich nicht um die vergeblichen Zustellungsversuche verschmähter Liebesbriefe, sondern um die Zustellung einer Kündigungsandrohung wegen Zahlungsverzugs mit anschliessender ausserordentlicher Kündigung gemäss Art. 257d OR.

 

Der Einzelrichter im summarischen Verfahren bzw. die Audienz des Bezirksgerichts Zürich verneinte einen sogenannt „klaren Fall“ bzw. trat auf das Gesuch der Vermieterschaft zur Ausweisung einer zahlungssäumigen Mieterschaft nach Art. 257 ZPO („Rechtsschutz in klaren Fällen“) nicht ein.  Die Vermieterschaft wollte diesen Entscheid nicht akzeptieren und gelangte an das Zürcher Obergericht.  Vorliegend stellte sich die Frage, ob eine Kündigungsandrohung im Sinne von Art. 257d Abs. 1 OR bzw. eine Kündigung gemäss Art. 257d Abs. 2 OR als zugestellt gilt, wenn dem Mieter als Empfänger kein Abholzettel in den Briefkasten gelegt werden konnte und – darum in der Folge – der Vermieterschaft die Briefsendungen mit dem eingangs erwähnten Zusatz zurückgeschickt wurden.

Zunächst setzte sich das Obergericht mit den (strengen) Voraussetzungen auseinander, damit – neben dem zusätzlich erforderlichen unbestrittenen oder sofort beweisbaren Sachverhalt gemäss Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO – eine klare Rechtslage im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO vorliegt.  Eine klare Rechtslage liegt (nur) dann vor, wenn sich die Anwendung der Norm auf den konkreten Fall aufgrund des Gesetzestextes oder der anerkannten Lehre und Rechtsprechung offensichtlich aufdrängt.  Damit ist klares Recht im Sinne der vorgenannten Bestimmung zwar nicht auf Fälle beschränkt, wo bereits der Gesetzeswortlaut die genaue Bedeutung einer Vorschrift wiedergibt, doch muss eine Auslegung nach bewährter Lehre und Überlieferung zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Ist die Subsumtion dagegen nicht offenkundig, müssen ausgiebige juristische Recherchen angestellt werden, stellen sich heikle juristische Abgrenzungsfragen, verweist die Norm auf richterliches Ermessen bzw. handelt es sich um Generalklauseln, besteht keine einschlägige Gerichtspraxis oder sind die Lehrmeinungen kontrovers, so liegt keine klare Rechtslage vor.  Fehlt es an klarem Recht oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen, so ist das Begehren illiquid und das Gericht tritt darauf nicht ein (Art. 257 Abs. 3 ZPO).

Zudem setzte sich das Obergericht mit der – zwar nicht annahmebedürftigen, wohl aber – empfangsbedürftigen Willenserklärungen auseinander, wozu u. a. auch die Zahlungsaufforderung wegen Zahlungsverzugs sowie die Mietvertragskündigung zu zählen sind.  Dabei kommen die vom Bundesgericht entwickelte absolute (uneingeschränkte) sowie die relative (eingeschränkte) Empfangstheorie zum Zug:  Die Zahlungsaufforderung gemäss Art. 257d Abs. 1 OR gilt gemäss der hierfür geltenden eingeschränkten Empfangstheorie als zugestellt, wenn sie vom Mieter tatsächlich in Empfang genommen wurde und nicht bereits, wenn sie in dessen Machtbereich eingetroffen ist. Kann ein eingeschriebener Brief dem Empfänger nicht sofort übergeben werden, so ist deshalb auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem der Empfänger ihn auf dem Postbüro abholt. Wird die Mitteilung auch innerhalb der von der Post gesetzten, siebentägigen Abholfrist nicht abgeholt, so wird fingiert, sie sei am letzten Tag dieser Frist in Empfang genommen. Dahingegen gilt die Kündigung bereits dann als zugestellt, wenn sie der Gegenpartei bzw. einer empfangsberechtigten Person übergeben, in deren Briefkasten geworfen oder in deren Postfach gelegt wird. Als Zugang gilt grundsätzlich derjenige Tag, an dem eine nicht zugestellte Kündigung erstmals auf der Post abgeholt werden kann.

Vergeblich machte die Vermieterschaft im vorliegenden Fall geltend, dass die Kündigungsandrohung bzw. die Kündigung auch dann als zugestellt gelten müsse, wenn der Mieterschaft kein Abholschein in den Briefkasten gelegt werden konnte, weil – wie die Vermieterschaft in tatsächlicher Hinsicht behauptete – die Mieterschaft den Briefkasten nicht angeschrieben habe.  Zudem hielt das Obergericht der Ansicht der Vermieterschaft entgegen, dass nicht der Adressat das Risiko dafür trage, wenn ihm Sendungen nicht zugestellt werden könnten und verwies auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Zustellung von Kündigungen, wonach der Absender das Übermittlungsrisiko bis zu dem Moment trage, in dem die Sendung in den Machtbereich des Adressaten gelange, während der Adressat das Risiko übernehme, dass er innerhalb seiner Einflusssphäre verspätet oder überhaupt nicht Kenntnis von der Sendung erhalte.  Zudem setzte sich das Obergericht mit der Rechtslehre zu diesem Themenbereich auseinander und kam zum Schluss, dass es dazu keine „einhellige Lehre“ und damit keine klare Rechtslage im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO gibt.

Im Übrigen bemerkte das Obergericht, dass die Vermieterschaft bloss die Vermutung geäussert hatte (aber in keiner Weise zu beweisen versuchte, z. B. mit ins Recht gelegten Fotografien), dass die Mieterschaft den Briefkasten nicht angeschrieben habe.  Jedenfalls kann nach den Erwägungen des Obergerichts aus dem Vermerk auf einer retournierten Briefsendung, „Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden" nicht automatisch abgeleitet werden, der Empfänger habe seinen Briefkasten nicht angeschrieben und damit die Zustellung vereitelt.  

Demgegenüber keine Beachtung fand in den Erwägungen des Obergerichts die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGer 9C_753/2007, E. 3, vom 29. August 2008), wonach es eine (natürliche) Vermutung gibt, dass der oder die Postangestellte die Abholungseinladung ordnungsgemäss in den Briefkasten oder ins Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustelldatum im Zustellbuch korrekt eingetragen worden ist.  In diesem Kontext rund um die Zustellung von eingeschrieben verschickten Briefsendungen wird gerne an diese Rechtsprechung erinnert.

Im Sinne eines Fazits bestätigt dieser Entscheid, dass die Anforderungen an einen „klaren Fall“ gemäss Art. 257 ZPO allgemein sehr hoch sind.  Hinzukommt nunmehr, dass auch die gerichtliche Ausweisung gestützt auf eine Zahlungsverzugskündigung nach Art. 257d OR nicht immer „klar“ sein muss, selbst wenn die Mieterschaft ihren – von der Vermieterschaft formell und inhaltlich korrekt abgemahnten – Zahlungsverpflichtungen gemäss Mietvertrag „klar“ nicht bzw. nicht fristgerecht nachgekommen ist. 

Vorsicht ist also bereits geboten, wenn der Mieterschaft die Zahlungsaufforderung nicht zugestellt werden kann bzw. diese an die Vermieterschaft retourniert wird mangels einer Ermittlung der Mieterschaft unter der angegebenen Adresse.  In solchen Fällen wird der Vermieterschaft empfohlen, sich umgehend vor Ort ein Bild zu machen und sicherzustellen, dass die Mieterschaft am Briefkasten zum Mietobjekt angeschrieben ist, um – mangels einer alternativen, der Vermieterschaft bekannten Adresse – die Zustellung des Abmahnschreibens in den Empfangsbereich der Mieterschaft gewährleisten zu können.  Davon zu unterscheiden ist der Fall, wo der Mieterschaft eine Abholungseinladung für eine Einschreibesendung in den Briefkasten gelegt werden kann, da diesfalls die Zustellung einer derart anvisierten Briefsendung (und hier namentlich die Zahlungsanzeige mit Kündigungsandrohung) nach ungenutztem Ablauf von 7 Tagen nach deren Avisierung fingiert wird. 

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Fachartikel im PDF-Format (MRA 2022, Heft 2)

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Vormerkung Mietverhältnis im Grundbuch:  Sachliche Zuständigkeit (Fachartikel in Mietrecht Aktuell 2022/3)

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