Anfangsmietzins-Formular ohne Rückseite?

Wie ist die Rechtslage, wenn eine Mieterschaft behauptet, nur die Vorderseite des Anfangsmietzins-Formulars erhalten zu haben, und dazu ein nur von der Vermieterschaft unterzeichnetes, amtliches Formular ohne Rückseite ins Recht legt? Wie der nachfolgend diskutierte Bundesgerichtsentscheid zeigt, kann das für die Vermieterschaft ins Geld gehen.

Fachartikel von Dr. Boris Grell, abgedruckt in der Immobilia März 2022 und hier im PDF-Format

Ausgangslage und Fragestellung

Jüngst beschäftigte sich das Bundesgericht mit einem anschaulichen Fall, wie ihn das Leben schrieb und wohl in jedem Schweizer Bewirtschaftungsunternehmen hätte geschehen können*:

Mieter- und Vermieterschaft schlossen einen Mietvertrag über die Anmietung eines Studios ab dem 1. September 2014 für Fr. 850 pro Monat.  Im besagten Mietvertrag war unter anderem festgehalten: „Mit der Unterzeichnung dieses Mietvertrags erklärt der Mieter, die Mitteilung des Mietzinses beim Abschluss eines neuen Mietverhältnisses erhalten zu haben“.  Nach mehrjährigem Mietverhältnis kündigte die Mieterschaft mit Schreiben vom 20. August 2018 das Mietobjekt auf Ende September 2018.  Wenige Tage später stellte sich die Vermieterschaft mit Schreiben vom 24. August 2018 auf den Standpunkt, dass das Mietverhältnis erst per Ende August 2019 gekündigt werden könne und machte die Mieterschaft zudem aufmerksam auf die Möglichkeit, eine Nachmieterschaft gemäss Art. 264 OR zu stellen.  Als die Parteien alsdann über diese Beendigungsmodalitäten in Streit gerieten, bemerkte die von der Mieterschaft zwischenzeitlich beigezogene Beraterin, dass das originale Anfangsmietzins-Formular im Besitz der Mieterschaft nur eine von der Vermieterschaft signierte Vorderseite, aber keine Rückseite aufwies (wo die gemäss Art. 19 VMWG notwendigen Angaben abgedruckt werden, nämlich die gesetzlichen Voraussetzungen der Anfechtung des Anfangsmietzinses sowie das Verzeichnis der Schlichtungsbehörden und ihre örtliche Zuständigkeit).

Demgegenüber trug das – zunächst nur in Kopie und im Verlauf des Gerichtsprozesses im Original ins Recht gelegte – Anfangsmietzins-Formular im Besitz der Vermieterschaft sowohl die Unterschriften der Vermieterschaft wie auch der Mieterschaft und hatte auch eine Rückseite mit den vorgenannten Angaben.  Zudem konnte – aufgrund der jeweilig verschieden Unterschriften auf den beiden originalen Formularen – ausgeschlossen werden, dass es sich beim Anfangsmietzins-Formular im Besitz der Mieterschaft bloss um eine Kopie des anderen Formulars im Besitz der Vermieterschaft handelte.

Nach der gescheiterten Schlichtungsverhandlung erkannte zunächst das Mietgericht auf die Teilnichtigkeit des Mietvertrags punkto der Mietzinshöhe, setzte den Anfangsmietzins neu auf Fr. 400 fest und verurteilte die Vermieterschaft zur Rückzahlung der sich daraus ergebenden Differenz von Fr. 450 pro Monat bzw. von insgesamt Fr. 22‘050 für die gesamte Dauer des Mietverhältnisses.

In der Folge focht die Vermieterschaft diesen Entscheid bei der Appellationsinstanz des Kantons Waadt an, die den Entscheid des Mietgerichts annullierte.  Zur Begründung verwies das kantonale Berufungsgericht auf die eingangs zitierte Textstelle im Mietvertrag, worin die Mieterschaft die Aushändigung des Anfangsmietzins-Formulars ausdrücklich bestätigte und leitete – mit Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung – daraus ab, dass nicht die Vermieterschaft, sondern vielmehr die Mieterschaft die Beweislast bzw. die Folgen der Beweislosigkeit tragen müsse, wenn beide Versionen des Anfangsmietzins-Formulars gleichermassen wahrscheinlich sind.  Dabei schützte die obere kantonale Instanz also den Standpunkt der Vermieterschaft, dass die Vermieterschaft – aufgrund des von ihr im Prozess ins Recht gelegten, originalen Anfangsmietzins-Formulars nach Art. 270 Abs. 2 OR (das die Unterschriften beider Mietvertragsparteien trug und eine Rückseite hatte mit den Vorgaben gemäss Art. 19 Abs. 3 VMWG i.V.m. Art. 19 Abs. 1 lit. c VMWG) – auf rechtsgenügende Weise der Mieterschaft den Anfangsmietzins mitgeteilt hatte.

Daraufhin gelangte die Mieterschaft ans Bundesgericht.

 

Erwägungen des Bundesgerichts

Vor Bundesgericht war einzig strittig, ob die Vermieterschaft den Anfangsmietzins auf einem gültigen amtlichen Formular der Mieterschaft mitgeteilt hatte.  Zunächst hielt das Bundesgericht fest, dass mit der Mitteilung des Anfangsmietzinses mittels des amtlichen Formulars sichergestellt wird, dass die Mieterschaft nützliche Hinweisen zu ihren Möglichkeiten erhält, um bei der Schlichtungsbehörde den Anfangsmietzins anfechten zu können.

Weiter stellte das Bundesgericht klar (und korrigierte damit die Auffassung der Vorinstanz), dass vorliegend nicht umstritten ist, dass die Mieterschaft das Anfangsmietzins-Formular von der Vermieterschaft erhalten hat.  Vielmehr liegt hier nur im Streit, ob das besagte, der Mieterschaft ausgehändigte Formular den Anforderungen von Art. 19 VMWG i.V.m. Art. 270 OR genügt und wer (Mieterschaft oder Vermieterschaft?) die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat, wenn nicht bewiesen werden kann, mit welcher Version des Anfangsmietzins-Formulars der Mieterschaft der Anfangsmietzins mitgeteilt wurde.

Das Bundesgericht hielt dafür, dass die von der kantonalen Appellationsinstanz angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Beweislastverteilung rund um die Frage der tatsächlichen bzw. der rechtlich vermuteten Zustellung des amtlichen Anfangsmietzins-Formulars (BGE 142 II 369 E. 4.1) vorliegend nicht einschlägig ist.  Denn hier stand nicht der Beweis der Mitteilung des Anfangsmietzinses mit dem amtlichen Anfangsmietzins-Formular an sich in Frage.  Vielmehr war nur umstritten, ob das der Mieterschaft ausgehändigte Anfangsmietzins-Formular vollständig war, also eine unterzeichneter Vorderseite und auch eine Rückseite mit den notwendigen Angaben gemäss Art. 19 VMWG hatte.  Dieser Beweis muss – gemäss Bundesgericht und mit Verweis auf Art. 8 ZGB – von der Vermieterschaft (und nicht von der Mieterschaft) erbracht werden.  Damit trägt auch die Vermieterschaft die Folgen der Beweislosigkeit, wenn die Vermieterschaft nicht beweisen kann, dass sie der Mieterschaft den Anfangsmietzins auf einem (von der Mieterschaft bestrittenermassen) vollständigen amtlichen Formular mitgeteilt hatte.

 

Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Das von der Mieterschaft ins Recht gelegte Anfangsmietzins-Formular wies nur eine (zwar von der Vermieterschaft unterzeichnete) Vorderseite auf, aber eben keine Rückseite mit den notwendigen Angaben gemäss Art. 19 VMWG.  Weil die Vermieterschaft im Gerichtsverfahren nicht beweisen konnte, dass sie der Mieterschaft ein vollständiges Formular inklusive der Rückseite ausgehändigt hatte, war das fragliche, im Besitz der Mieterschaft befindliche Anfangsmietzins-Formular fehlerhaft und führte zur Nichtigkeit der im Mietvertrag vereinbarten Mietzinshöhe.

Die Erwähnung im Mietvertrag (oder in einem Begleitschreiben), dass der Mieterschaft neben dem Mietvertrag das amtliche Anfangsmietzins-Formular mit dem Anfangsmietzins ausgehändigt wurde, schützt die Vermieterschaft also nicht davor, im Gerichtsverfahren – und bei einer entsprechenden Behauptung der Mieterschaft – im Einzelfall beweisen zu müssen, dass das der Mieterschaft ausgehändigte Anfangsmietzins-Formular vollständig war, insbesondere mit Vorder- und Rückseite.

Vor diesem Hintergrund und wegen der strengen Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Beweislastverteilung rund um die Vollständigkeit des Anfangsmietzins-Formulars wird der Vermieterschaft bzw. dem von ihr allenfalls beauftragten Bewirtschaftungsunternehmen empfohlen:

o     den Standardtext im Mietvertrag oder im Begleitschreiben zum Mietvertragsabschluss zu ergänzen, wonach der Mieterschaft das amtliche Anfangsmietzins-Formular mit Vorderseite und Rückseite ausgehändigt worden ist und

o     die Mieterschaft beim Abschluss neuer Mietverhältnisse generell nicht nur die Vorderseite, sondern auch die Rückseite aller Original-Exemplare des amtlichen Anfangsmietzins-Formulars unterzeichnen zu lassen sowie

o     im Unterlassungsfall und insbesondere im laufenden Mietverhältnis die Unterzeichnung der Rückseite des Anfangsmietzins-Formulars bei der Mieterschaft nachzufordern, falls nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Mieterschaft tatsächlich nur die Vorderseite des Formulars ausgehändigt wurde, was allerdings mit dem Risiko verbunden ist, dass die Mieterschaft nachträglich den Anfangsmietzins bei der Schlichtungsbehörde anfechten und Rückforderungsansprüche stellen wird.

***


*    Der auf Französisch verfasste Entscheid des Bundesgerichts vom 12. Oktober 2021 kann heruntergeladen werden auf der Homepage des Bundesgerichts (www.bger.ch) unter der Geschäfts-Nr. 4A_592/2021.

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Ausweisung im Summarverfahren – Return to sender (Fachartikel in Mietrecht Aktuell 2022/2)

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