Die Lücken und Tücken des Erneuerungsfonds

Tatsächliche und rechtliche Ausgangslage

Die gesetzlichen Bestimmungen zum Stockwerkeigentum regeln in Art. 712a ff. ZGB die anteiligen Beitragspflichten der einzelnen Stockwerkeigentümer.  Die betreffenden Gelder, mit denen die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der gemeinschaftlichen Verwaltung finanziert werden sollen, werden von der Stockwerkeigentümergemeinschaft unter ihrem eigenen Namen als zweckgebundenes Sondervermögen gehalten. So weit, so gut. Die praktische Schwierigkeit mit diesen Gesetzesregelungen ist allerdings, dass es dabei keine gesetzliche Verpflichtung zur Äufnung eines solchen Fonds gibt, es sich bei der Regelung dieser Beitragspflichten also vielmehr nur um wohlgemeinte Empfehlungen des Gesetzgebers handelt.

Natürlich kann man sich trefflich darüber streiten, ob es diese doch sehr liberale Regelungsweise richtig oder im Gegenteil fahrlässig ist. Denn damit wird es jeder Stockwerkeigentümergemeinschaft selbst überlassen und steht es in der eigenen Verantwortung aller daran beteiligter Stockwerkeigentümer, ob ein solcher Erneuerungsfonds überhaupt geäufnet und wie oft bzw. wie hoch dieser (allenfalls bis zu einem Deckelbetrag) alimentiert werden soll.  Eines ist jedenfalls klar: Solange alle Stockwerkeigentümer genug liquide Mittel zur Verfügung stellen können, ist die Diskussion über einen gesetzlichen Zwang zur vorsorglichen Schaffung eines solchen Erneuerungsfonds müssig. 

Leider ist aber auch klar, dass meist das Gegenteil immanent ist und (mehr oder weniger) unerwartete Erneuerungs- oder Ersatzausgaben für gemeinschaftliche Anlagen und Einrichtungen anstehen, die in keine Versicherungsdeckung fallen und die einzelnen Stockwerkeigentümer kurzfristig mit hohen Ausgaben konfrontieren.  Erschwerend kommt regelmässig hinzu, dass die Stammparzelle neben den einzelnen Stockwerkeinheit nicht mit Pfandrechten belastet werden darf. Auch ist die finanzielle Belastung der einzelnen Sonderrechtseinheiten für Drittfinanzierungen oft ausgereizt, oder es stehen bereits teure Investitionen in der eigenen Stockwerkeinheit an. Ebenfalls nicht unterschätzt werden darf die altersmässige Zusammensetzung der Stockwerkeigentümergemeinschaft, die sich im Verlauf der Zeit durch natürliche Wechsel auch verändern kann und eine ganz eigene Dynamik hat: So ist ein 75-jähriger Witwer ohne Familie, der von der AHV und einer kleinen BVG-Rente lebt, doch entscheidend weniger motiviert, viel Geld in die eigentlich anstehende Gesamtsanierung der Kanalisationsleitungen zu investieren als sein benachbarter, 47-jähriger Stockwerkeigentümer, der zusammen mit seiner ebenfalls berufstätigen Ehegattin hier seinen Traum von den eigenen vier Wänden umsetzen will.

Ausreichende Alimentierung Erneuerungsfonds

Schätzungen zufolge verfügen rund 80 % aller Stockwerkeigentümergemeinschaften über einen Erneuerungsfonds bzw. sehen die zugehörigen Reglemente dessen regelmässige Speisung vor. Dabei schwanken die jährlichen Beiträge in der Höhe zwischen 0.2 % und 0.5 % des Gebäudeversicherungswerts und weisen ein Kostendach von 5 % bis 10 % des Gebäudeversicherungswerts auf. Im Weiteren ist – selbst bei einer solchen reglementarischen Verpflichtung – noch lange nicht gesagt, dass und in welcher Höhe der Erneuerungsfonds tatsächlich und ausreichend alimentiert ist.  Gemeinhin sollte der Erneuerungsfonds stets mit kurzfristig und sicher verfügbaren (also nicht langfristig oder risikohaft angelegten) Geldern in der Höhe von mindestens 1 % des Gebäudeversicherungswerts als Liquiditätsreserve bestückt sein.  Zudem ist in der langfristigen Finanzierungsplanung zu berücksichtigen, dass eine umfassende Überholung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen schnell einmal 20 % bis 30 % des Gebäudewerts ausmachen kann.

Gefahren bei fehlendem Erneuerungsfonds

Je nach Grösse der Gemeinschaft und der von den einzelnen Stockwerkeigentümern gehaltenen Wertquoten, nach deren Massgabe die anteilige Berechnung der Beitragszahlungen grundsätzlich erfolgt, übersteigt dies bald einmal die finanziellen Ressourcen – und es muss ein Verkauf der Stockwerkeinheit ins Auge gefasst werden. Dabei versteht es sich von selbst und muss der klamme Verkäufer zudem fürchten, dass bei einem solch unfreiwilligen, auch zeitlich forcierten Verkauf die potenziellen Käufer mehr Verhandlungsmacht haben und – je nach Lage und Konkurrenzofferten – kaum mehr Spitzenpreise zu zahlen bereit sind. Im Übrigen und „besten“ Fall sind gleich mehrere Stockwerkeigentümer in einem finanziellen Engpass, die sich aber gleichwohl wenigstens für eine Teilsanierung oder eine Staffelsanierung entscheiden, die in ihrer Gesamtheit aber – notgedrungen – wesentlich teurer ausfällt als die Sanierung in einem Stück.

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als empfehlenswert, dass sich jede Stockwerkeigentümergemeinschaft mit einem Erneuerungsfonds bestückt und diesen von Beginn an (also ab Neubau / Erstbezug) mit regelmässigen, finanziell verkraftbaren Beiträgen füllt, selbst wenn – im Fall eines Neubaus – grössere Sanierungsinvestitionen regelmässig erst nach rund 20 Jahren erstmals anstehen.  Ein solcher Erneuerungsfonds kann jederzeit auch noch nach der ursprünglichen Begründung des Stockwerkeigentums eingeführt werden, bedarf hierfür aber eines entsprechenden Beschlusses der Stockwerkeigentümergemeinschaft. Soll hierzu auch das Reglement angepasst werden, muss der entsprechende Beschluss in der Regel mit dem qualifizierten Mehr nach Köpfen und Wertquoten gefasst werden. Dieses Vorgehen zeugt nicht nur von einem umsichtigen und haushälterischen Umgang mit den eigenen finanziellen Mitteln, sondern auch von einem verantwortungsvollen Umgang mit der im Kollektiv mit den anderen Stockwerkeigentümern gehaltenen Gebäudesubstanz, deren Werterhaltung nur mit einer zeitgerechten und zeitgemässen Unterhalts- und Erneuerungsstrategie sichergestellt werden kann.

Dabei darf auch nicht vernachlässigt werden, dass ein mangelnder oder gar fehlender Unterhalt der allgemeinen Teile nicht nur zu einem Wertzerfall dieser Gebäudebereiche führen kann, sondern indirekt auch Auswirkungen haben kann auf die Finanzierung der einzelnen Stockwerkeinheiten, insbesondere wenn die Neuverhandlungen mit den Banken über den Neuabschluss oder die Verlängerung einer auslaufenden Hypothek auf der eigenen Stockwerkeinheit ansteht. 

Weitere Vorteile Erneuerungsfonds

Hinzu kommt, dass die Investitionen in den Erneuerungsfonds privat gehaltener Liegenschaften in den meisten Kantonen und auf Bundesstufe als Liegenschaftsunterhaltskosten der gemeinschaftlichen Teile (also nicht der eigenen Stockwerkeinheit) steuerlich abziehbar sind. 

Kommt es irgendwann einmal zu einem Verkauf, sind diese Einlagen in den Erneuerungsfonds auch keineswegs verloren, obwohl diese nicht separat veräussert werden können bzw. eine Teilauflösung des Erneuerungsfonds nicht in Frage kommt.  Denn regelmässig werden die Einlagen in den Erneuerungsfonds in die Höhe der Kaufpreiszahlung eingepreist. Zudem steht der Gemeinschaft gegenüber säumigen Stockwerkeigentümern für die auf die letzten drei Jahre entfallenden Beitragsforderungen ein gesetzliches Pfand- (und allenfalls auch ein) priorisiertes Verwertungsrecht auf deren Stockwerkeinheit zu.  Ebenfalls steht den anderen Stockwerkeigentümern ein gesetzliches Retentionsrecht an den beweglichen Gegenständen zu, die sich in den Räumen des säumigen Stockwerkeigentümers befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören.

Kommentar: Die undankbare Rolle des Liegenschaftsverwalters

Und mittendrin ist der Liegenschaftsverwalter, der in diesem losen gesetzlichen, reglementarischen und praktischen Umfeld die Interessen der Stockwerkeigentümergemeinschaft sowie der einzelnen Stockwerkeigentümer, die untereinander ebenfalls teils widersprüchliche oder zumindest nicht gleichgerichtete Interessen haben können, bestmöglich zu wahren hat. 

In anderen Worten gleicht diese Interessenwahrung einer Quadratur des Kreises bzw. kann es der Liegenschaftsverwalter zwangsläufig nicht allen involvierten Parteien recht machen. Gleichwohl und wenn er sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall für eine spezifische Interessenwahrung entscheiden muss, sollte der Fokus seiner Dienstleistungen auf der konsequenten Werterhaltung der zentralen allgemeinen Teile sowie den gemeinsamen Interessen der Stockwerkeigentümergemeinschaft liegen – soweit es überhaupt in seiner gesetzlichen, reglementarischen und vertraglichen Kompetenz liegt.

Soweit es aber um die finanzielle Absicherung umfangreicherer Instandhaltungsarbeiten geht, die der Liegenschaftsverwalter nur dann ausführen lassen kann, wenn die hierfür notwendigen Mittel effektiv zur Verfügung stehen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Stockwerkeigentümer – im Sinne der vorstehenden Ausführungen – von Beginn weg von einer konsequenten, nachhaltigen, stetigen und ausreichenden Alimentierung des Erneuerungsfonds zu überzeugen. Die Verantwortung dafür liegt letztlich aber bei der Stockwerkeigentümergemeinschaft bzw. bei den einzelnen Stockwerkeigentümern.

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