Ferien und Fristen im Mietrecht

Ausgangslage

Das Ehepaar A und B schloss mit dem Mieter C einen Mietvertrag ab über eine 4- Zimmerwohnung in Carouge / GE mit einem Mietbeginn am 1. März 1996.  Der Mietvertrag war zu Beginn auf ein Jahr befristet, verlängerte sich in der Folge aber stillschweigend um jeweils ein weiteres Jahr, solange der Mietvertrag nicht zuvor mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt wurde.  Im Rahmen der Scheidung der beiden Mieter A und B im Juni 1996 wurde die besagte Wohnung der Mieterin A alleine zugewiesen.  Der geschiedene Ehegatte der Mieterin A, der seit der Scheidung nicht mehr im Mietobjekt wohnte, blieb – aus welchen Gründen auch immer – im besagten Mietvertrag als Vertragspartei aufgeführt.

Im Jahr 2006 erwarb der Käufer X das Grundstück und wurde damit auch der neue Vermieter der beiden Mieter A und B.  Im Jahr 2008 wurde der Mietvertrag dergestalt angepasst, dass sich das Mietverhältnis bis zum 31. März 2014 verlängerte und sich dann jeweils um weitere 5 Jahre verlängerte, solange der Mietvertrag nicht 3 Monate vor Ablauf der festen Vertragsdauer gekündigt wurde.  Gleichzeitig wurde der Mietzins indexiert gemäss dem Index der Konsumentenpreise (vgl. dazu auch Art. 269b OR und Art. 17 VMWG).

Am 29. November 2013 kündigte der Vermieter X den Mietern A und B mit jeweils eingeschriebener Briefsendung das Mietverhältnis separat, mit amtlichem Formular, ordentlich und rechtzeitig auf den 31. März 2014.  Da der Postbote die beiden Kündigungen am 2. Dezember 2013 nicht zustellen bzw. nicht persönlich aushändigen konnte, legte er gleichentags die Abholungseinladungen in den zugehörigen Briefkasten, wonach die Einschreiben bis zum 9. Dezember 2013 (Montag) auf der Poststelle entgegengenommen werden konnten.

Der Zufall (?) wollte es, dass die Mieterin A Ende November 2013 während 10 Tagen ferienabwesend war, sodass sie nach ihrer Rückkehr am (späten Montagabend des) 9. Dezember 2013 die angezeigte Briefsendung nicht mehr auf der Poststelle abholen konnte.  Aufgrund der fehlenden Abholung der Einschreiben wurden die beiden Kündigungsschreiben des Vermieters X am Nachmittag des 10. Dezember 2013 wieder an den Vermieter retourniert.

Am 24. Januar 2013 schickte die Bewirtschafterin des Vermieters X die besagten Kündigungen vom 29. November 2013 nochmals an die beiden Mieter; dieses Mal aber (nur) mit der regulären Post (d. h. nicht per Einschreiben).  Dabei erinnerte die Bewirtschafterin die beiden Mieter an die vormaligen, per Einschreiben verschickten, jedoch nicht abgeholten Kündigungsschreiben, die trotzdem am letzten Tag der Abholungsfrist als an die Mieterin zugestellt gälten.  In der Folge fochten die beiden Mieter die Kündigung am 7. Februar 2014 bei der zuständigen Schlichtungsbehörde in Mietsachen als missbräuchlich an, soweit diese nicht nichtig sei; eventualiter verlangten die beiden Mieter eine Erstreckung des Mietverhältnisses um vier Jahre.  Weiter verlangten sie eine Begründung der Kündigungen (vgl. dazu Art. 271 Abs. 2 OR), die der Vermieter mit finanziellen Motiven begründete bzw. mit einer angestrebten Verbesserung der Vermietung des Mietobjekts zu einem höheren, jedoch immer noch quartiersüblichen Mietzins.

Nach einem erfolglos durchgeführten Schlichtungsverfahren erklärte das Genfer Mietgericht die Kündigungsanfechtung als unzulässig, zumal die Kündigungsanfechtung vom 7. Februar 2014 verspätet erfolgt sei.  Demgegenüber erachtete das Genfer Appellationsgericht die Mieterbegehren als zulässig und wies die Streitigkeit zur weiteren Sachverhaltsabklärung und anschliessenden Entscheidung an das Mietgericht zurück.  In der Folge gelangte der Vermieter X mit der Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht (Urteil des Bundesgerichts vom 11. Juli 2016:  BGer 4A_293/2016).

Rechtsgrundlagen und Fragestellung

Will ein Mieter die Kündigung anfechten und/oder eine Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen, muss er gemäss Art. 271 Abs. 1 und Abs. 2 OR das Begehren innert 30 Tagen nach Empfang der Kündigung der Schlichtungsbehörde einreichen.  Strittig war vorliegend zunächst einmal, wann die besagte Frist von 30 Tagen zu laufen begann, bereits anlässlich der (vergeblichen) ersten Zustellung der Kündigung von Ende November 2013 (mit der Abholungsfrist vom 2. bis am 9. Dezember 2013) oder erst mit der zweiten Zustellung vom 23. Januar 2014?

Absolute und relative Empfangstheorie

Schon zu Beginn seiner Erwägungen und bevor das Bundesgericht sich zu den vorstehenden Rechtsfragen äusserte, erklärte es die Anfechtung des Mieters B für unzulässig.  Denn der Ehegatte der Mieterin A wohnte seit der Scheidung im Jahr 1996 nicht mehr im Mietobjekt und bekundete vor Bundesgericht zudem auch kein (eigenes) Interesse an der vorliegenden Kündigungsanfechtung.

Das Bundesgericht erinnerte in seinem Entscheid weiter an seine bisherige Rechtsprechung, wonach es im Mietrecht zur Fristberechnung auf die absolute und relative Empfangstheorie zurückgreift.  Nach der absoluten (oder uneingeschränkten) Empfangstheorie beginnt der Fristenlauf im Zeitpunkt, wo eine empfangsbedürftige Willenserklärung (wozu insb. auch die Kündigung eines Mietvertrags gehört) in den Machtbereich des Adressaten oder dessen Vertreter gelangte.  Davon abweichend kommt die relative Empfangstheorie im Mietrechtrecht nur ausnahmsweise zur Anwendung und zwar einzig bei der Abmahnung des Mieters gemäss Art. 257d Abs. 1 OR wegen Zahlungsverzugs sowie bei der vermieterseitigen Mitteilung einer Mietzinserhöhung gemäss Art. 269d OR.  Demnach erfolgt der Fristbeginn erst, wenn der Adressat oder dessen Vertreter tatsächlich Kenntnis genommen hat von der zugehörigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung.

Vorliegend konnte der Postbote die Kündigungen den beiden Mietern A und B (oder einen Dritten, der zur Entgegennahme der beiden Einschreiben ermächtigt war) am 2. Dezember 2013 nicht direkt aushändigen und legte darum die zugehörigen Abholungseinladungen in den Briefkasten.  Damit begann – in Anwendung der absoluten Empfangstheorie – die Anfechtungsfrist gemäss Art. 273 Abs. 1 OR (spätestens) am Folgetag, also am 3. Dezember 2013.  Gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts findet bei der Anwendung der (mietrechtlichen) absoluten Empfangstheorie somit auch die (prozessrechtliche) Fristenregelung keine Anwendung, wonach eine eingeschrieben verschickte Briefsendung (erst) am 7. Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt fingiert wird.

Ferienabwesenheit irrelevant für Fristenlauf

Dass die Mieterin A – aufgrund ihrer Ferienabwesenheit von Ende November 2013 bis am Abend des 9. Dezembers 2013 – faktisch gar keine Möglichkeit hatte, die Kündigung entgegenzunehmen, spielt gemäss den Erwägungen des Bundesgerichts keine Rolle.  Vielmehr (und entgegen der Ansicht der kantonalen Appellationsinstanz) hätte die Mieterin A die Abholungseinladung nicht einfach ignorieren dürfen.  Die Mieterin A hätte sich nach der Retournierung der Kündigung an die Post wenden können und sich nach dem Namen des Absenders erkundigen müssen, um in der Folge beim Vermieter den Inhalt der Briefsendung zu erfragen sowie sich eine Kopie des Kündigungsschreibens zustellen lassen können.  Bei diesem (pflichtgemässen) Vorgehen der Mieterin A hätte sie die Kündigung ohne weiteres innert der 30-tägigen Frist anfechten können.

Im Weiteren stellte das Bundesgericht auch klar und korrigierte die Ansicht der Vorinstanz, dass sich die Mieterin A vorliegend nicht darauf berufen kann, dass sie mit der Zustellung einer (fristauslösenden) Kündigung nicht hätte rechnen müssen.  Dabei handelt es sich gemäss Bundesgericht um eine prozessrechtliche Regelung, die nur ausnahmsweise auch im mietrechtlichen Kontext Beachtung finde, nämlich bei der Abmahnung des Mieters gemäss Art. 257d Abs. 1 OR wegen Zahlungsverzugs sowie bei der vermieterseitigen Mitteilung einer Mietzinserhöhung gemäss Art. 269d OR.

Ertragsoptimierungskündigung:  Keine Nichtigkeit

Das Bundesgericht stellte sich auch dem mieterseitigen Vorwurf entgegen, wonach die Kündigung sowieso nichtig sei aufgrund der Begründung des Vermieters X, das Mietverhältnis aus ökonomischen Gründen gekündigt zu haben.  Mit Verweis auf seine jüngste Rechtsprechung sowie die allgemeinen Prinzipien der Vertrags- und Abschlussfreiheit stellte das Bundesgericht klar, dass eine vermieterseitige Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen zulässig und nur im Fall einer treuwidrigen Kündigung ungültig bzw. anfechtbar sei.  Weiter hielt es fest, dass auch in einem Mietverhältnis die Vertragsparteien nur daran gebunden seien, den Mietvertrag bis zum Ablauf der vereinbarten Mietdauer aufrechtzuerhalten. 

Demgemäss hielt das Bundesgericht auch ausdrücklich fest, dass es nicht nur dem Mieter gestattet sei, einen Mietvertrag zu kündigen für eine günstigere Unterkunft.  Vielmehr sei auch ein Vermieter frei, den Mietvertrag wegen wirtschaftlicher Gründe zu kündigen, zumal die Rechtsordnung ihm im Rahmen der gesetzlichen Grenzen gestatte, seine Rendite zu optimieren mit einem neuen Mieter, der bereit sei, einen höheren (nicht überrissenen, missbräuchlichen) Mietzins zu bezahlen.  Mit anderen Worten ist eine Ertragsoptimierungskündigung nur dann anfechtbar, wenn – unter Anwendung der absoluten Mietzinsberechnungsmethode – ausgeschlossen werden kann, dass der Vermieter den Mietzins im rechtlich zulässigen Rahmen erhöhen kann (weil der bisherige Mietzins bereits marktkonform ist und dem Vermieter eine ausreichende Rendite verschafft). 

Allerdings bleibt nach den Ausführungen des Bundesgerichts eine Kündigungsanfechtung ausnahmsweise denkbar, wenn die zulässige Erhöhungsmöglichkeit nur geringfügig ist („réserve de hausse insignifiante“) und die bloss genutzt wird, um sich bequem eines nicht (mehr) genehmen Mieters zu entledigen.

Zusammenfassung und Empfehlungen

  1. Bei der Mietvertragskündigung berechnet sich der Fristenlauf für die Anfechtung nach der absoluten Methode. Demnach läuft bei eingeschrieben verschickten Kündigungsschreiben die 30-tägige Anfechtungsfrist ab der physischen, direkten Aushändigung durch den Postboten an den Adressaten oder dessen Vertreter.

  2. Das Gleiche gilt bei einer physischen Übergabe des Kündigungsschreibens direkt durch den Vermieter bzw. einer von ihm beigezogenen Drittperson (z. B. Velokurier) oder wenn das Kündigungsschreiben sonst wie in die persönliche Einflusssphäre des Mieters gelangt. Diesfalls wird für den – vom Vermieter zu erbringenden – Beweis der tatsächlichen Zustellung des Kündigungsschreibens aber empfohlen, sich den Empfang des Kündigungsschreibens unterschriftlich quittieren zu lassen.

  3. Aus Beweisgründen wird davon abgeraten, das Kündigungsschreiben einfach in den Briefkasten des Mieters zu legen, obwohl dieses damit in den Machbereich des Mieters gelangt. Von einem Versand des Kündigungsschreibens bloss mit regulärer Post wird ebenfalls aus Beweisgründen abgeraten, zumal weder die Zustellung an sich noch das genaue Zustelldatum eruiert werden kann.

  4. Allenfalls bietet sich hier eine Zustellung mittels A-Post plus an, zumal mit diesem Zustellservice der schweizerischen Post über deren track-and-trace Website der Einwurf von Briefsendungen in den Briefkasten oder ins Postfach des Adressaten nachvollzogen werden kann und bei Abwesenheit des Mieters keine Abholungseinladung im Briefkasten / Postfach hinterlegt wird.

  5. Im Fall eines ersten erfolglosen Zustellungsversuchs des eingeschrieben verschickten Kündigungsschreibens beginnt die Anfechtungsfrist spätestens am Folgetag, nachdem der Postbote die Abholungseinladung in den Briefkasten oder ins Postfach des Mieters gelegt hat. Demgegenüber wird der Fristenlauf bei der Abmahnung des Mieters gemäss Art. 257d Abs. 1 OR wegen Zahlungsverzugs sowie bei der vermieterseitigen Mitteilung einer Mietzinserhöhung gemäss Art. 269d OR gemäss der relativen Methode berechnet, d. h. bei eingeschriebenen Briefsendungen also spätestens am 7. Tag nach dem erfolglosen, ersten Zustellungsversuch. Es wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob in diesen beiden Fällen eine direkte Zustellung mit A-Post plus rechtlich möglich und für den Vermieter in zeitlicher und finanzieller Hinsicht als vorteilhaft erweisen wird.

  6. Eine Ertragsoptimierungskündigung ist zulässig und lediglich anfechtbar, falls der neue Mietzins – unter Anwendung der absoluten Mietzinsberechnungsmethode – missbräuchlich ist. Ausnahmsweise und selbst wenn eine Mietzinserhöhung im gesetzlichen Rahmen möglich ist, bleibt eine Ertragsoptimierungskündigung anfechtbar, falls sich ein Vermieter mithilfe einer nur im geringfügigen Rahmen möglichen Mietzinserhöhung eines unliebsamen Mieters entledigen will.

 

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