Vom Handelsgericht und Handelsrichtern

Wann kann ein Handelsgericht angerufen werden, wie funktioniert insb. das Handelsgericht des Kantons Zürich und was ist dabei zu beachten, um von dessen Vorzügen profitieren zu können?

Zur Zuständigkeit der Handelsgerichte

Neben den ordentlichen Zivilgerichten steht es den Kantonen frei, ein Handelsgericht zu bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist.  Von dieser Möglichkeit haben derzeit nur 4 Kantone Gebrauch gemacht, nämlich:  Aargau, Bern, St. Gallen und Zürich, wobei das Handelsgericht Zürich im Jahr 2016 bereits sein 150-jähriges Bestehen feiern konnte.  Dieses kantonal organisierte Fachgericht kann von den Rechtssuchenden jedoch nicht nach freiem Belieben angerufen werden und kann auch in Verträgen mit sog. Gerichtsstandsklauseln nur unter bestimmten Voraussetzungen als örtlich und sachlich zuständiges Gericht bestimmt werden.

Damit eine handelsgerichtliche Streitigkeit nach Art. 6 Abs. 2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung vorliegt und die Streitparteien von den nachfolgend diskutierten Vorteilen des Handelsgerichts profitieren können, muss die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen sein sowie der Streitwert in arbeits- und mietrechtlichen Streitigkeiten bei mindestens Fr. 15‘000 und in den übrigen Fällen bei mindestens Fr. 30‘000 liegen.  Zudem muss für die Begründung der Zuständigkeit des Handelsgerichts zumindest die beklagte Partei im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sein.  Demgegenüber – und soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind – hat die klägerische Partei, die in keinem solchen Register eingetragen ist, die Wahl zwischen dem Handelsgericht oder dem eingangs genannten, örtlich zuständigen, ordentlichen Zivilgericht. 

Im Übrigen gilt es zu beachten, dass das ordentliche Zivilgericht der 1. Instanz nicht direkt angerufen werden kann, sondern zuerst ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden muss bzw. der Kläger erst mit der sog. vom Friedensrichter (oder von der Schlichtungsbehörde in Mietsachen) ausgestellte Klagebewilligung an das „richtige“ Gericht gelangen kann.  Demgegenüber entfällt bei einer Zuständigkeit des Handelsgerichts das vorgenannte Schlichtungsverfahren und kann bzw. muss das Handelsgericht direkt angerufen werden.

Mit anderen Worten und zusammenfassend bieten die vier Handelsgerichtskantone den Rechtssuchenden die prozessuale Möglichkeit, eine Klage mit einer gewissen finanziellen Tragweite schnell und direkt anhängig zu machen bei einem auf handelsrechtliche Streitigkeiten spezialisierten Fachgericht, auf dessen fachliche Qualitäten und Besonderheiten nachfolgend noch genauer eingegangen wird.  Dafür nimmt der Rechtssuchende aber in Kauf, dass er – im Unterschied zum ordentlichen Instanzenzug und im Fall seines Unterliegens vor dem Handelsgericht – keine 2. kantonale Gerichtsinstanz mehr hat bzw. seine Streitigkeit nur noch vom Bundesgericht überprüfen lassen kann.

Allgemeine Vorzüge der Handelsgerichte

Schon die Bezeichnung des Handelsgerichts als Fachgericht legt dessen Vorzüge für die Rechtssuchenden nahe:  Sind für die rechtliche Beurteilung einer Streitigkeit besondere Sachkenntnisse (ausserhalb des Rechts) erforderlich, können die für die Wirtschaft und deren Vertreter zentralen Fragen meist rascher, sachgerechter und damit – sowie wegen des Wegfalls einer übergeordneten, kantonalen Gerichtsinstanz – auch kostengünstiger im Interesse aller Beteiligten von einem staatlichen Fachgericht entschieden werden.  Mitunter und weil das Handelsgericht den fallspezifisch erforderlichen Sachverstand regelmässig bereits „in-house“ in Form der Handelsrichter zur Verfügung hat (dazu sogleich), entfallen meist teure und in ihrer Aufbereitung schwerfällige, externe Gerichtsgutachten.  Zudem hat die Fachkompetenz des Handelsgerichts bzw. die berufsbedingte Praxisnähe der Handelsrichter ihres Fachgebiets regelmässig zur Folge, dass die Streitparteien den für sie unter Umständen negativen Entscheid des Handelsgerichts bereitwilliger akzeptieren können.

Spezielle Vorzüge und Organisation der Handelsgerichte und Handelsrichter

Das Handelsgericht Zürich als Kollegialgericht wird für die Behandlung der einzelnen Rechtsstreitigkeiten gemäss § 39 Abs. 2 GOG mit zwei Mitgliedern des Obergerichts und mit drei HandelsrichterInnen besetzt, die unter Berücksichtigung ihrer Sachkunde bezeichnet werden.  Dabei hat der Präsident bzw. der Vizepräsident des Handelsgerichts den Vorsitz inne sowie die Verfahrensleitung.  In der Regel überträgt der Vorsitzende nach erfolgtem erstem Schriftenwechsel die Verfahrensleitung dem zweiten Mitglied des Obergerichts (bzw. einem Ersatzoberrichter), der fortan als sog. Instruktionsrichter amtet und ihm der Vorsitzende einen Handelsrichter mit fallspezifischen Fachwissen als sog. Referenten zuteilt.  Dieser Instruktionsrichter lädt regelmässig nach dem ersten Schriftenwechsel die (vergleichswilligen) Streitparteien zur Vergleichsverhandlung vor, an der auch der bestellte Referent / Handelsrichter sowie der zuständige Gerichtschreiber (mit beratender Stimme) teilnimmt.

Derzeit beschäftigen sich – neben dem Präsidenten sowie dem Vizepräsidenten des Handelsgerichts – 7 OberrichterInnen berufsmässig mit den beim Handelsgericht Zürich anhängig gemachten Gerichtsverfahren sowie neben- oder ehrenamtlich rund 70, in 10 Kammern organisierte FachrichterInnen aus unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen.  Die 3. Kammer „Baugewerbe und Architektur“ besteht z. B. aus derzeit 17 Mitgliedern, die in der Regel Bauunternehmer sind und sich insb. mit der Beurteilung von Ansprüchen aus Werkvertragsrecht beschäftigen, inkl. den SIA-Normen beschäftigen.

Dabei stellen in diesem Kollegium die verschiedenen Fachrichter sicher, dass – neben dem Allgemeinwissen, dem Wissen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung sowie der umfassenden Rechtskenntnisse der Oberrichter (als Vollblutjuristen) – das Gericht zudem über das für das Verständnis und die akkurate Beurteilung des rechtsrelevanten Sachverhalts notwendige, branchenspezifische Fachwissen verfügt, wie z. B. das Lesen von ins Recht gelegten Bauplänen oder die bautechnische Beurteilung eingeklagter Baumängel.  Die Fach- bzw. Handelsrichter, die in der Streitsache – wie die Oberrichter – natürlich in keiner Weise befangen sein dürfen, verfügen – schon aufgrund von deren eigenen praktischen Berufserfahrung – über das notwendige „Insiderwissen“ und kennen die üblichen Geschäftsabläufe in einer Branche und die damit verbundenen Handlungszwänge und Probleme mit den dabei auf dem Spiel stehenden, gegensätzlichen Interessen der Beteiligten.  Dieses Zusammenspiel rechtlicher und branchenspezifischer Fachkompetenzen, die direkt in den richterlichen Entscheidfindungsprozess einfliessen können, ist eine ideale Ausgangslage für eine adäquate richterliche Entscheidung.  Zudem hilft dieses Fachwissen auch, dass sich die Handelsrichter – meist im Rahmen von Vergleichs- und Instruktionsverhandlungen – vermittelnd einbringen können und damit massgeblich für die sehr hohe Vergleichsquote (zumindest vor dem Handelsgericht Zürich) mitverantwortlich sind.

Zusammenfassung

  • Die vier Handelsgerichtskantone Aargau, Bern, St. Gallen und Zürich sehen für die vornehmlich im Handelsregister eingetragenen Streitparteien an Stelle der regulären staatlichen Gerichtsinstanzen ein auf handelsrechtliche Streitigkeiten spezialisiertes Fachgericht vor.

  • Soweit die jeweils im Einzelnen zu prüfenden Voraussetzungen für die örtliche und sachliche Zuständigkeit erfüllt sind, stellen die Handelsgerichte mitunter in Baustreitigkeiten eine sinnvolle Einrichtung dar, um in einer Gerichtsstreitigkeit insb. mit der fachkundigen Unterstützung der Handelsrichter eine praxisnahe rechtliche Beurteilung zu erhalten.

  • Dass das Handelsgericht die einzige kantonale Gerichtsinstanz ist bzw. dessen Entscheide nur noch vom Bundesgericht überprüft werden können und auch das dem eigentlichen Gerichtsverfahren vorgelagerte Schlichtungsverfahren für weitere Vergleichsgespräche entfällt, ist dabei hinzunehmen.

Artikel erschienen in der Immobilia des SVIT, Ausgabe Februar 2018

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Bundesgericht: Wieder Neues zur Sanierungskündigung