(Zu) gierige Nachbarn – Von der Kommerzialisierung einer Rechtsposition

Ausgangslage

Das Bundesgericht hat mit seinem richtungsweisenden Entscheid vom 4. Juli 2014 (BGer 6B_1049/2013) dazu beigetragen, dass einem in der Baubranche leider immer wieder begegneten Phänomen wohl bald Einhalt geboten werden wird:   Will ein Bauherr – in diesem Fall ein Generalunternehmer – ein Bauprojekt realisieren, muss er mit Widerstand rechnen, insb. von Nachbarn, die sich aus welchen Gründen auch immer gegen das Bauprojekt wehren.  Soweit so gut.  Denn es entspricht dem Selbstverständnis eines Rechtsstaates, dass sich jeder Betroffene mit den ihm vom Recht zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln bei den zuständigen Behörden und Gerichten Gehör und bestenfalls Recht verschaffen kann.  Im vorliegenden Streitfall hat der betroffene Nachbar den Bogen aber überspannt.

Sachverhalt

Der Generalunternehmer X hatte für rund 15 Mio. Franken ein Grundstück erworben und plante darauf eine Arealüberbauung mit sieben Einfamilienhäusern bei einem Investitionsvolumen von 70 Mio. Franken.  Gemäss Anklageschrift kontaktierte der Nachbar Y den Projektleiter des Generalunternehmers X und schlug diesem vor, dass X die Mehrfamilienhäuser von Y für damals geschätzte 300'000 Franken saniere, ansonsten er gegen das Bauprojekt einen Rekurs einreiche.  Der Projektleiter von X reagierte nicht, worauf Y Rekurs einreichte gegen die dem Generalunternehmer X zwischenzeitlich erteilte Baubewilligung.  Mit den Bauarbeiten für die Arealüberbauung konnte darum nicht begonnen werden.  Daraufhin kontaktierte der bereits erwähnte Projektleiter den Nachbarn Y, der seine ursprünglichen Forderungen unterstrich.  Weiter erklärte Y, dass er seine Rekursgründe breit gestreut habe, sodass er den Bau problemlos um fünf Jahre oder noch länger verzögern könne.  Um eine jahrelange, teure Bauverzögerung zu vermeiden, folgten Verhandlungen zwischen X und Y.  Dabei einigten sich die beiden darauf, dass X zum Preis von 20'000 Franken umfangreiche Sanierungsarbeiten im Wert von ca. 400'000 Franken an den Mehrfamilienhäusern von Y vornimmt.  Zudem stellte der Generalunternehmer X eine Sicherheitsleistung in der Höhe von 350'000 Franken als Garantie für die Erfüllung der Forderungen von Y, wenn dieser den Rekurs zurückgezogen hatte.  Nach dem Zahlungseingang zog der Nachbar Y seinen Rekurs zurück.  In der Folge führte der Generalunternehmer X die vereinbarte Sanierung auf der Nachbarliegenschaft jedoch nicht durch und reichte gut zwei Jahre nach diesen Geschehnissen Strafanzeige gegen Y ein wegen Erpressung.

Gemäss Art. 156 StGB wird wegen Erpressung bestraft, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selber oder einen andern am Vermögen schädigt.

Entscheid der kantonalen Vorinstanzen

Das Bezirksgericht Dietikon wie auch das Obergericht des Kantons Zürich verurteilten Y wegen Erpressung und erachteten das u. a. von Y vorgebrachte Argument der rechtsmissbräuchlich verzögerten Einreichung der Strafanzeige als nicht relevant.  Grund für die besagte Verzögerung war, dass der Generalunternehmer X zunächst noch den rechtskräftigen Abschluss des in Zusammenhang mit der geplanten Arealüberbauung notwendigen Quartierplanverfahrens abwarten wollte, wo auch die Zustimmung von Y erforderlich war.

Die Vorinstanzen kamen gestützt auf glaubhafte Zeugenaussagen zum Schluss, dass Y mit seinem Rekurs einzig die Verzögerung des Baubeginns angestrebt und die Gründe für seinen Rekurs nur zum Schein vorgebracht habe.  So habe Y den Zeugen gegenüber sogar selbst die Durchsetzbarkeit seiner Rekursgründe bezweifelt.  Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz wäre es deshalb geradezu "einem Zufall gleichgekommen, wenn seine nur zum Schein erstellte Rekursschrift dennoch einzelne Punkte mit Aussicht auf Erfolg enthalten hätte".  Zudem sei selbst der von Y beauftragte Gutachter nicht umhin gekommen, nahezu sämtliche Rügen kurzum als "wenig chancenreich" zu bezeichnen.

Das Bundesgericht führte in seinem Entscheid weiter aus, dass nicht jeder entgeltliche Verzicht auf ein Rechtsmittel sittenwidrig im Sinne von Art. 20 OR ist (und damit eine unrechtmässige Bereicherung, die erforderlich ist um den Tatbestand der Erpressung gemäss Art. 156 StGB zu erfüllen).  Für das Bundesgericht ist es aber – mit Verweis auf weitere Bundesgerichtsentscheide – „praxisgemäss sittenwidrig“, soweit sich der wirtschaftliche Wert des Verzichts nicht aus den schutzwürdigen Interessen des rechtsmittelführenden Nachbarn ergibt, sondern bloss aus dem möglichen Schaden wegen der Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens.  Diesfalls liege eine "Kommerzialisierung des Verzichts" vor.

Das Bundesgericht bejahte vorliegend eine solche Kommerzialisierung, zumal der von Y erhobene Rekurs aussichtslos gewesen sei.  Für das Bundesgericht war es damit auch nicht mehr entscheidend, dass die effektiven Sanierungskosten gemäss Y rund CHF 235‘000 tiefer gewesen seien.  Die von Y geltend gemachte, geringere Höhe der verlangten Entschädigung spielt gemäss Bundesgericht keine Rolle mehr, wenn die Kommerzialisierung des Verzichts und damit die Sittenwidrigkeit der fraglichen Entschädigungsvereinbarung bereits feststeht.

Zusammenfassung

Der Nachbar Y forderte vom Bauherrn und Generalunternehmer X als Gegenleistung für den Rückzug seines Baurekurses die umfassende Sanierung seiner Mehrfamilienliegenschaft zum (nicht dem Gegenwert entsprechenden) Preis von CHF 20'000.-- sowie eine Sicherheitsleistung von CHF 350'000.  Andernfalls wollte Y den Rekurs gegen das Bauprojekt bis vor Bundesgericht weiterziehen und so für eine Bauverzögerung von bis zu fünf Jahren sorgen.  Mit dieser Absichtserklärung ist die Androhung eines ernstlichen Nachteils zu bejahen.  Da der Rekurs von Y aussichtslos war, ergab sich der wirtschaftliche Wert seines Verzichts ausschliesslich aus dem möglichen Schaden wegen der Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens und nicht aus seinen schutzwürdigen Interesse.

Die Forderung einer Entschädigung für seinen Rechtsmittelverzicht bzw. die entsprechende Vereinbarung mit dem Generalunternehmer waren deshalb sittenwidrig i.S.v. Art. 20 OR.  Damit handelte Y in der Absicht, sich unrechtmässig zu bereichern, weshalb das Bundesgericht Y wegen Erpressung gemäss Art. 156 StGB verurteilte.

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