Vorbefassung im Baubewilligungsverfahren

Ausgangslage

Die Grundeigentümer A reichten beim Stadtrat von Baden über ihren Architekten B eine Voranfrage für ein Abbruch- und Neubauprojekt ein. Innert Monatsfrist nahm der Stadtrat zu verschiedenen Fragen vorläufig Stellung, unter Vorbehalt von Änderungen der Rechtsverhältnisse, allfälliger berechtigter Einsprachen Dritter sowie der Bedingungen und Auflagen des definitiven Baubewilligungsverfahrens. In der Folge reichten die Grundeigentümer A beim Stadtrat ein formelles Baugesuch ein. Dagegen erhoben verschiedene Dritte Einsprache. Nach gut drei Monaten reichten die Grundeigentümer A ein überarbeitetes Baugesuch ein. Der Stadtrat wies in der Folge die zuvor erhobenen Einsprachen ab, soweit diese nicht gegenstandslos geworden waren und erteilte die definitive Baubewilligung. Es folgten verschiedene, für diese Besprechung nicht im Einzelnen relevante Rechtsmittelverfahren bis vor Bundesgericht, welches zunächst auf die erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht eintrat. In Zusammenhang mit einem nachträglich bewilligten Besucherparkplatz ergab sich schliesslich doch noch die Gelegenheit, die Rechtmässigkeit der ursprünglich erteilten Baubewilligung vom Bundesgericht überprüfen zu lassen. Neben mehr baurechtlichen Argumenten brachten die Einsprecher vor, der Stadtrat sei bei der Erteilung der Baubewilligung voreingenommen gewesen wegen der ebenfalls an den Stadtrat gerichteten, eingangs erwähnten Voranfrage der Grundeigentümer A.

Argumente und Entscheid der kantonalen Instanzen

Das kantonal letztinstanzliche Verwaltungsgericht wies die Vorwürfe der Vorbefassung des Stadtrates zurück und verneinte eine Ausstandspflicht. Nach der Ansicht des Verwaltungsgerichts hätten Lehre und Praxis die Zulässigkeit behördlicher Auskünfte unter dem Gesichtspunkt der Vorbefassung nie in Frage gestellt; im Gegenteil werde die Möglichkeit der Voranfrage befürwortet, weil diese im Interesse der Verfahrensökonomie und der bürgernahen Verwaltung liege. Kritisch werde es aber dann, wenn (seitens der Behörden) Zusagen abgegeben würden, die geeignet seien, bei den Adressaten eine Vertrauensposition zu schaffen. Auch wenn eine solche Zusage gegenüber den an diesem (informellen) Vorverfahren nicht beteiligten Dritten keine Rechtswirkung habe, könnten die Behörde im nachfolgenden (offiziellen) Bewilligungsverfahren als voreingenommen erscheinen.

Im vorliegenden Fall verneinte das Verwaltungsgericht aber eine entsprechende vertrauensbegründende Zusage, welche die Behörde hätte beeinflussen können, im formellen Baubewilligungsverfahren anders als in der Voranfrage zu entscheiden. Vielmehr habe der Stadtrat auf die Voranfrage der Grundeigentümer A von Gesetzes wegen nur eine unverbindliche Auskunft geben können. Zudem habe der Stadtrat in seiner Antwort darauf hingewiesen, dass es sich nur um eine vorläufige Stellungnahme handle und habe sich eine andere Beurteilung aufgrund von Änderungen der Rechtsverhältnisse, allfälliger berechtigter Einsprachen Dritte sowie die Bedingungen und Auflagen der Bewilligung ausdrücklich vorbehalten. Demnach sei der Ausgang des Baubewilligungsverfahrens weiterhin offen gewesen und liege keine verfassungswidrige Vorbefassung nach Art. 29 der Bundesverfassung vor.

Die Einsprecher gelangten daraufhin mit öffentlich-rechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht. Sie machten geltend, dass auch eine solche unverbindliche Auskunft vertrauensbegründend sei. Denn eine Voranfrage mache für den Baugesuchsteller nur dann Sinn, wenn er sich auf die Antworten verlassen könne; das einzige Risiko, das dem Baugesuchsteller noch verbleibe, seien berechtigte Einsprachen Dritter. Eine Amtsstelle, die sich (im Vorfrage-Verfahren) bereits in einer bestimmten Frage festgelegt habe, werde später kaum mehr darauf zurück kommen, zumal sie wisse, dass der Baugesuchsteller im Vertrauen auf die "unverbindliche" Auskunft bereits Dispositionen getroffen habe.

Allgemeine Erwägungen des Bundesgerichts

Zunächst wies das Bundesgericht im vorliegenden Entscheid (BGer-Entscheid vom 8. September 2009, 1C_150/2009) darauf hin, dass die besagte Voranfrage der Grundeigentümer A im Aargauer Baugesetz und der Bauverordnung eine Regelungsgrundlage hat. Daraus geht auch hervor, dass die erteilten Auskünfte und Stellungnahmen rechtlich unverbindlich sind, zumal Dritte in dieses Voranfrage-Verfahren nicht einbezogen werden. Weiter wird im zitierten Verordnungstext ausdrücklich hingewiesen auf das solchen Voranfragen zugrundeliegende Interesse der zügigen Verfahrensabwicklung und der Koordination insbesondere bei komplexen und grösseren Bauvorhaben. Zudem soll sich nach dem Verordnungswortlaut diese Beratung durch den Stadtrat resp. die vorbereitende Baukommission insbesondere auf wichtige Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens beziehen.

Anschliessend machte das Bundesgericht Ausführungen zur Frage der verfassungswidrigen Vorbefassung von Richtern sowie von Verwaltungs- und Exekutivbehörden. Dabei hielt es mit Verweis auf seine eigene Rechtsprechung fest, dass die Vorbefassung von Gerichtsbehörden nicht ohne Weiteres auf erstinstanzliche Verwaltungsverfahren übertragen werden könne. Vielmehr müssten die Anforderungen an die Unparteilichkeit von Verwaltungs- und Exekutivbehörden in jedem Einzelfall, unter Berücksichtigung ihrer gesetzlich vorgegebenen Funktion und Organisation, ermittelt werden. Sei die amtliche Mehrfachbefassung systembedingt und damit unvermeidlich, liege grundsätzlich keine unzulässige Vorbefassung vor.

Weiter anerkannte das Bundesgericht, dass es gerade der Zweck der Voranfrage sei, möglichst frühzeitig eine Stellungnahme der Behörde zu erhalten, die anschliessend auch für die Erteilung der Baubewilligung zuständig ist. Allerdings müsse sichergestellt werden, dass das fragliche Vorfrage-Verfahren das anschliessende Baubewilligungsverfahren nicht vorwegnimmt und die Behörde den Anschein erweckt, sie werde ihre Beurteilung im eigentlichen Baubewilligungsverfahren nicht mehr revidieren. Ob dies der Fall sei, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, namentlich von Art, Umfang und Bedeutung der aufgeworfenen baurechtlichen Fragen, dem Entscheidungsspielraum der Baubehörde und dem Projektierungsstadium. Bei der Beantwortung abstrakter Rechtsfragen in einem frühen Projektstadium besteht nach Ansicht des Bundesgerichts in der Regel keine Gefahr einer späteren Befangenheit. Gleiches gelte bei Auskünften über baurechtliche Fragen, die gesetzlich vorgegeben sind und von den Rechtsmittelbehörden frei überprüft werden können.

Entscheid des Bundesgerichts

Im vorliegenden Fall baten die Grundeigentümer A über ihren Architekten B um eine umfangreiche und detaillierte Prüfung konkreter, projektbezogener Fragen, reichten Pläne und einen Baubeschrieb ein. Alsdann befasste sich die Baukommission in zwei Sitzungen mit dieser Voranfrage und schlug diverse Anpassungen vor, wobei diese Änderungen teilweise bereits in einem Bau-Modell berücksichtigt wurden, welches die Baukommission nach der ersten Sitzung vom Architekten B verlangt hatte. Im Übrigen war der Architekt B Mitglied der besagten Baukommission, trat allerdings bei den beiden erwähnten Sitzungen in den Ausstand.

Vor diesem Hintergrund entschied das Bundesgericht, dass die vorbereitende Baukommission, die einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt der Baubewilligung hatte, in diesem Verfahren in verfassungswidriger Weise voreingenommen gewesen sei. Dementsprechend hob das Bundesgericht die erteilte Baubewilligung auf und wies das Baugesuch zur erneuten Behandlung an die Baubewilligungsbehörde zurück. Im Übrigen und unter Berücksichtigung der verschiedenen Funktionen sei nicht der ganze Stadtrat voreingenommen gewesen. Deshalb hielt es das Bundesgerichts für ausreichend, wenn bei der erneuten Behandlung dieses Baubewilligungsgesuchs diejenigen Stadträte in den Ausstand treten, die im Voranfrage-Verfahren Mitglieder der Baukommission gewesen waren.

Zusammenfassung

Zunächst erstaunt der Entscheid des Bundesgerichts, weil die Möglichkeit der Voranfrage insbesondere bei komplexen und umfangreichen Bauprojekten gemeinhin wertvolle Dienste leistet, um das ohnehin schon komplizierte Baubewilligungsverfahren nicht noch zusätzlich in zeitlicher und finanzieller Hinsicht zu belasten. Aufgrund der in diesem spezifischen Fall gegebenen Umständen ist der Entscheid jedoch nachvollziehbar, insbesondere auch mit Blick auf die Verfahrensrechte der an diesen Vorfrage-Verfahren nicht beteiligten, erst im formellen Baubewilligungsverfahren zur Einsprache berechtigten Dritten. Zudem geben die vom Bundesgericht aufgestellten Kriterien für die Annahme einer Vorbefassung keinen Anlass, diesen Entscheid als Abgesang auf dieses in der Praxis bewährte Institut zu werten.

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